Der Preis der Atomkraft: Auch in England explodieren die Folgekosten

Am englischen Standort Sellafield befinden sich zahlreiche Atomanlagen, u.a. eine Wiederaufarbeitungsanlage und zahlreiche Atomreaktoren und Brennelementefabriken. Teilweise sind sie nicht mehr in Betrieb. Ein Atomunfall in den Fünfziger Jahren lässt das Urteil zu: Die angeblich billige Atomenergie entpuppt sich in Wirklichkeit als der teuerste Strom überhaupt.

Atomanlagen am Standort Sellafield / England

Atomanlagen am Standort Sellafield / England

Atomkraft ist unbezahlbar. England muss wegen der Folgen des Atomunfalls in Sellafield in den Fünfzigern des letzten Jahrhunderts noch über 100 Milliarden Pfund (113 Milliarden Euro) bis zum Jahr 2120 aufwenden, so die Süddeutsche in ihrer heutigen Ausgabe. Denn es gebe außerhalb der ehemaligen Sowjetunion und Japans „wohl keinen Ort, der so verseucht ist wie Sellafield“.

Zwar sind zahlreiche Anlagen – darunter vier Reaktoren des ersten, zur kommerziellen Stromerzeugung genutzten AKW weltweit, dem „Windscale-Reactor“ und zwei Reaktoren „PILE“ zur Herstellung von Plutonium für Atomwaffen – heute stillgelegt, die Abfälle der auf dem Gelände von Wiederaufarbeitungsanlagen, Brennelementewerken und Meilern lagern teilweise in Teichen, Silos und leckenden Tanks. Mit dem Betrieb der Wiederaufarbeitungsanlagen werden zudem täglich radioaktive Abwässer in die Irische See gepumpt.

Am 10. Oktober 1957 gab es im Reaktor Windscale ein Feuer, das als „Windscale-Brand“ in die Geschichte eingegangen ist. Es handelt sich um einen der schwerwiegendsten Atomunfälle vor den Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima. Eine Wolke mit erheblichen Mengen radioaktiven Materials wurde freigesetzt, die sich über Großbritannien und über das europäische Festland verteilte. Die Bevölkerung wurde jedoch erst am Tag nach den Ende des Brandes gewarnt, bis heute sind die Folgen nicht abschätzbar. Ein vorsichtiger britischer Bericht von 1982 nennt wenigstens 40 bedingte Todesfälle, andere Quellen sprechen von wenigstens tausend. Nach dem Unfall wurde der Reaktor stillgelegt, seit 2010 läuft der Rückbau.

Am Montag stellte ein Komitee des britischen Unterhauses fest, dass zur Zeit mit Gesamtkosten von 67,5 Milliarden Pfund (78 Milliarden Euro) bis zum Jahr 2120 allein für Sellafield gerechnet würde. Für die anderen AKW – momentan sind an acht Standorten 16 Reaktorblöcke am Netz, 29 Reaktorblöcke wurden bereits stillgelegt – kämen weitere 32,5 Milliarden Pfund hinzu. Das ergibt zusammen eine grob überschlagene Summe von 100 Milliarden Pfund. In 2007 waren die Kosten auf 61 Milliarden Pfund geschätzt worden. Heute erwarten die Abgeordneten künftig noch weitere Steigerungen. Allein in Sellafield würden die Arbeiten bereits 1,6 Milliarden Pfung gekostet haben – zwölf der 14 Projekte seien hinter dem Zeitplan zurück. „Eine ganze Abfolge von Regierungen habe vor dem Problem des nuklearen Rückbaus versagt“, kritisiert das Komitee.

Atomkraftgegner weisen darauf hin, dass auch Deutschland an diesem Desaster Mitverantwortung trägt:

„Jahrzehntelang haben deutsche Atomkraftwerksbetreiber ihren Atommüll nach England in die WAA Sellafield gebracht. Ab 2015 sollen von dort Transporte nach Gorleben rollen. Wenn der Standort zu den am schlimmsten verseuchten Orten der Welt gehört, dann tragen auch die deutschen AKW-Betreiber daran eine Mitschuld“, so Jan Becker von contrAtom. „In Deutschland, England und Frankreich explodieren die Folgekosten der Atomkraft, wobei das menschliche Leid nach den Unfällen nicht beziffert werden kann. Wir fordern: Schluss mit dieser Wahnsinns-Technologie. Der Neubau von AKW muss verboten werden!“

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Quellen (Auszug): sonnenseite.com, sueddeutsche.de, de.wikipedia.org; 05.02.2013