Überarbeitetes kerntechnisches Regelwerk für Deutschland

Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) und die Länder haben sich auf neue Sicherheitsanforderungen für den Betrieb der Atomkraftwerke geeinigt. Das bisherige Kerntechnische Regelwerk (KTR) stammt in Teilen noch aus den siebziger Jahren. Die Atommeiler in Gundremmingen entsprechen den Anforderungen offenbar nicht.

atomanlagen stilllegen!Nach rund zehnjähriger Debatte haben sich Bund und Länder auf ein neues Regelwerk für die deutschen Atomkraftwerke geeinigt. Das zuständige Bund-Länder-Gremium – der Länderausschuss für Atomkernenergie – hat das überarbeitete Regelwerk am 20. November 2012 einstimmig gebilligt. Das KTR beinhaltet grundlegende Regeln und übergeordnete sicherheitstechnische Anforderungen und legt damit fest, wie AKWs gebaut sein müssen, um nach Stand der Technik möglichst „sicher“ betrieben werden zu können. Zuletzt hatte der Mehrfach-GAU von Fukushima tiefe Bedenken in die „Sicherheitsphilosophie“ der Atomkonzerne und ihren Lobbybehörden gerissen. Deshalb seien in dem neuen Regelwerk Erkenntnisse aus den Reaktorunfällen durch erhöhte Anforderungen an Maßnahmen und Einrichtungen des Notfallschutzes eingeflossen.

  • Das neue Regelwerk sieht jetzt vor allem höhere Anforderungen auf der sogenannten 3. und 4. Sicherheitsebene vor (1. Ebene: Gebäude, 2. Betrieb, 3. Notkühlsystem, 4. Abdichtung zur Umwelt bei Kernschmelze). Insbesondere sollen die Kühlkreisläufe vierfach redundant vorhanden sein, das heißt, dass Kreisläufe, Pumpen, Dieselaggregate und deren jeweilige Aufstellungsorte technisch und räumlich vollständig getrennt sein müssen. Aus den Erfahrungen von Fukushima floss ein, dass diese Systeme nun nicht mehr nur Stunden, sondern mehrere Tage den Kühlbetrieb aufrechterhalten können müssen.

Das BMU lobt das neue Regelwerk, in das rund 9.000 Anmerkungen und Änderungen eingearbeitet werden mussten, denn nun läge „ein neues umfassendes Regelwerk vor, das ab sofort für alle deutschen Anlagen anzuwenden ist“. Dieses gilt auch für geplanten Leistungserhöhung der Atomkraftwerke Emsland und Gundremmingen. Besonders umstritten war bis zuletzt die Schärfe der Maßnahmen zur Unfallverhinderung bei den Anlagen.

Eigentlich war das jetzt verabschiedete neue Regelwerk nach sechs Jahren Vorarbeit und Diskussion schon 2009 fertig und sollte in Kraft treten. Doch dann kam der Regierungswechsel zu Schwarz-Gelb, bilanziert „telepolis“, die AKW-Laufzeiten wurden wieder verlängert und man wollte nicht auch noch begründen müssen, warum AKWs, die nicht den neuesten Sicherheitsanforderungen entsprechen, nun weiter am Netz gelassen werden sollten. Bekanntlich wurden nach Fukushima acht alte AKW aus Sicherheitsgründen stillgelegt.

Bayern wollte bis zuletzt das neue KTR blockieren, denn das AKW Gundremmingen entspricht diesen neuen Sicherheitsbestimmungen teilweise nicht. Die Initiatve „FORUM“ verweist darauf, dass die alten Anlagen nicht mehr auf dem Stand von Wissenschaft und Technik sind. Widerstand aus Niedersachsen hatte sich nach der Stilllegung der alten Meiler erledigt.

Die Zustimmung aller Länder sei durch den Einbau von Relativierungen und abgeschwächten Anforderungen erreicht worden. So heißt es: „Ob und in welchem Umfang Änderungen bzw. Nachrüstungen in den Kernkraftwerken erforderlich sind, ist von den Landesbehörden im Rahmen zukünftiger Verwaltungsverfahren anlagenspezifisch zu entscheiden.“

Atomkraftgegner warnen vor Abstrichen bei der Sicherheit:

„Mit jedem Betriebstag steigt wegen des teilweise schon hohen Alters der Anlagen die Stöfallwahrscheinlichkeit. Einzelne Komponenten könnten versagen und eine Verketten von ungünstogen Umständen zu einem GAU führen“, so Jan Becker von contrAtom. „Es den Ländern freizustellen ob sie handeln oder nicht, also die Nähe zur Atomindustrie zum Indikator für nötige Nachrüstungen zu machen, ist fahrlässig. Anlagen, die dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht mehr entsprechen, müssen sofort stillgelegt werden. Unserer Auffassung nach sind das alle verbleibenden neun Meiler.“

  • Durchgefallen: deutsche Atomkraftwerke im EU-Stresstest
    5. Oktober 2012 – Nach Bekanntgeben der Ergebnisse des EU-„Stresstests“ für Atomkraftwerke fordert das Aktionsbündnis „Atomausstieg selber machen“ Stromverbraucherinnen und -verbraucher auf, das Risiko eines Unfalls nicht weiter mit zu verantworten und umgehend zu einem unabhängigen Ökostromversorger zu wechseln. Der Test hatte Sicherheitsmängel in praktisch allen Atomkraftwerken der EU festgestellt; in Deutschland bestehe Handlungsbedarf vor allem bei den Reaktoren Brokdorf, Emsland und Grohnde.
  • “Der Stresstest war ein Schnarchtest”
    4. Oktober 2012 – Die Bundesregierung geht wissentlich das Risiko ein, dass sich Fukushima hierzulande wiederholt, meinen Atomkraftgegner anlässlich der heutigen Veröffentlichung der Stresstest-Ergebnisse.
  • Im Stresstest durchgefallen: 12 deutsche Atomkraftwerke mit Sicherheitslücken
    2. Oktober 2012 – “Die Sicherheitskultur muss verbessert werden”: Bei allen zwölf im “Stresstest” nach Fukushima geprüften deutschen AKW müssen die installierten Warnsysteme nachgebessert werden, fordert der Bericht der EU-Kommission. Zudem seien die Leitlinien für schwere Unfälle nicht umgesetzt. EU-weit schneiden alle 145 Reaktoren schlecht ab.

Quellen (Auszug): spiegel.de, dpa, nuklearforum.ch, telepolis.de, umweltfairaendern.de; 22./28.11.2012