Atompolitik: Rolle rückwärts, Fahne in den Wind oder „wir haben verstanden“?
Wer schon seit Jahren oder Jahrzehnten der Atomenergie kritisch gegenüberstand, vielleicht im schwarz/gelben Laufzeitverlängerungs-Wahlkampf immer wieder protestieren war, beim Castor auf der Straße sass, der wundert sich die Tage über Deutschland, das zum „Land der Atomkraftgegner“ geworden ist.
Freundlich lächelt Angela Merkel von einem Plakat, das ein Demonstrant mit der Forderung „abwählen“ versehen hat. Ein Wunsch, den wohl viele der nach Gorleben Gekommenen hegen und zu dessen Erfüllung sie am liebsten schon vor dem Bundestagswahljahr 2013 beitragen möchten. Denn das Vertrauen in Merkel, Röttgen und Co. in puncto Atomkraft – so war bei der Demo immer wieder zu hören – sei auf dem Nullpunkt angelangt. Da mögen Politiker noch so vollmundig Stresstests und Prüfkataloge für Reaktoren ankündigen: Bei vielen Menschen bleibt eine gehörige Portion Skepsis. Vor allem die schon etwas Älteren unter den Atomkraftgegnern hören die Schalmeienklänge, die seit Fukushima aus Kanzleramt und Umweltministerium tönen, mit Argwohn. Und nur zu gut sind noch die Worte des einstigen Bundesinnenministers Manfred Kanther (CDU) in Erinnerung, der Atomkraftgegner pauschal als „unappetitliches Pack“ diskriminierte.
Union-Fraktionschef Kauder forderte im Juli 2010 eine „deutliche Verlängerung“ der AKW-Laufzeiten, man „sei sich in der Koalition einig, dass es längere Laufzeiten gebe“ und lehnte eine Anteilnahme des Bundesrates am Laufzeitengesetz vehement ab. Anfang 2010 wollte er den „Atomausstieg umgehend stoppen“, damit „weder Biblis A noch Neckarwestheim vom Netz genommen werden müssen“.
Auch der Energiekonzerne E.ON verhält sich – ganz im Gegensatz zu seinem Konkurrenten RWE – ungewöhnlich: „Keiner ist hier, der dem Satz widerspricht: Ausstieg aus der Atomenergie so früh wie möglich“, sagte E.ON-Vorstandschef Johannes Teyssen am Sonntag in Hannover. Nach dem „dramatischen Ereignis“ von Fukushima könne man nicht zur Tagesordnung übergehen. Die deutschen Atommeiler blieben aber die sichersten der Welt: „Sie würden sonst keine Stunde weiterlaufen.“
Der Bundesverband Deutscher Industrie (BDI) schließt sich dem schwarz/gelben Schnell-Ausstieg an: BDI-Präsident Hans-Peter Keitel sagt, dass die Industrie für einen raschen Atomausstieg sei und fordert einen Ausbau der erneuerbaren Energien. Allerdings müsse man „unglaublich aufpassen, dass in der Diskussion um die Atomenergie unser wirtschaftlicher Erfolg nicht unter die Räder kommt“. Noch im Juni 2010 – zu schwarz/gelben Wahlkampfzeiten – stellt der BDI klar, man sei „gegen Brennelementesteuer und für Laufzeitverlängerung“. Man solle die „künstliche Verkürzung der Laufzeiten“ zurücknehmen. Das Energiekonzept war dann nach Meinung des BDI auch das „anspruchsvollste seiner Art weltweit“.
Und Bundeskanzlerin Merkel? Sucht jetzt einen parteiübergreifenden Konsens für den Atomausstieg.
- Rolle rückwärts, Fahne in den Wind? Oder nach den Worten von Guido Westerwelle: „Wir haben verstanden! “ ??
Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz waren die ersten Denkzettel für uraltdenkende Pro-Atomlobbyisten aus Union und FDP. Die Menschen wollen diese rückwärtsgewandte Denke nicht mehr. Da helfen keine Beschwichtigungen, PR-Kampagnen oder Zeitschindereien mehr. Jetzt heisst es Fakten! Keine Kompromisse, keine faulen Tricks: Stilllegen – sofort! oder: Schwarz/gelb Abtreten!
Text (Auszug): Neues Deutschland, 04.04.2011
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