Der Stresstest: Bewertung der deutschen AKW und Kriterien

Die EU-Kommission hat die Sicherheit aller europäischen Atomkraftwerke überprüft. Grund zur Kritik hat sie auch in Deutschland gefunden. Die Bewertung der deutschen AKW beim EU-Stresstest und eine Übersicht zu den überhaupt geprüften Kriterien.

Als Folge der Reaktorkatastrophen in Fukushima wurden erstmals alle 145 Reaktoren in der EU auf ihre Sicherheit getestet. Zu den Prüfkriterien zählten Technik, Ausrüstung und Unfallvorsorge. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie ein AKW auf ein Erdbeben oder Hochwasser vorbereitet ist. Die Betreiber führten die Checks durch, die von nationalen Behörden und Experten aus anderen Staaten überprüft wurden. Die Nachrichtenagentur dpa liefert einen Überblick der untersuchten Kriterien:

  • Naturkatastrophen: Untersucht wurden die Folgen einer Naturkatastrophe wie Erdbeben oder Überflutung auf einen Atommeiler. Bei einem Standort am Fluss wie dem Rhein wurde etwa ein Hochwasser simuliert. Im japanischen Fukushima hatte ein Erdbeben mit folgendem Tsunami das Atomunglück ausgelöst.
  • Technik: Die gesamte Technik kam auf den Prüfstand. Dabei ging es auch darum, welche Auswirkungen ein Stromausfall oder ein Ausfall der Notstromaggregate oder des Kühlsystems hat.
  • Flugzeugabsturz: Dieser Punkt war lange umstritten. Ein Flugzeugabsturz war schließlich kein explizites Prüfkriterium. Allerdings wurden die möglichen Folgen eines Absturzes wie etwa ein Stromausfall im AKW untersucht.
  • Terror: Die Auswirkungen von möglichen Terroranschlägen auf Atomkraftwerke blieben ausdrücklich ausgeklammert. Insbesondere Großbritannien und Frankreich sperrten sich dagegen, weil sie Anschläge als Frage der nationalen Sicherheit ansehen.

Mängelliste der Europäischen Reaktoren im Überblick

Fast alle der 145 Reaktoren in den EU-Ländern haben Sicherheitslücken:

  • In 121 Reaktoren müssen Erdbebenmessgeräte installiert oder nachgerüstet werden.
  • Bei 32 Reaktoren fehlen mit Filtern ausgestattete Abluftsysteme in der Sicherheitsumschließung, um bei einem Unfall den Druck im Reaktorbehälter gefahrlos ablassen zu können.
  • Bei 81 Reaktoren lagert die Ausrüstung zur Bekämpfung schwerer Unfälle nicht an einem Ort, der rasch zugänglich ist und auch bei Verwüstung unversehrt bleibt.
  • In 24 Reaktoren fehlt ein Ersatzkontrollraum, falls der Hauptkontrollraum nicht mehr betreten werden kann.
  • Nur in 54 Reaktoren wenden die Betreiber die aktuellen Standards für die Risikoeinschätzung bei Erdbeben an. Zur Einschätzung der Überflutungsgefahr trifft dies auf 62 Reaktoren zu.

Mängelliste der noch in Betrieb befindlichen deutschen Reaktoren im Überblick

  • Neckarwestheim-II: Unvollständige Notfallvorschriften.
  • Philippsburg-II: Unvollständige Notfallvorschriften.
  • Isar-II: Unvollständige Notfallvorschriften. Nicht auf Erdbeben einer bestimmten Stärke getestet.
  • Grafenrheinfeld: Unvollständige Notfallvorschriften. Nicht auf Erdbeben einer bestimmten Stärke getestet.
  • Gundremmingen-B: Unvollständige Notfallvorschriften.
  • Gundremmingen-C: Unvollständige Notfallvorschriften.
  • Grohnde: Unvollständige Notfallvorschriften. Nicht auf Erdbeben einer bestimmten Stärke getestet. Fehlende Erdbebenwarngeräte auf der Anlage.
  • Emsland: Unvollständige Notfallvorschriften. Fehlende Erdbebenwarngeräte auf der Anlage.
  • Brokdorf: Unvollständige Notfallvorschriften. Nicht auf Erdbeben einer bestimmten Stärke getestet. Fehlende Erdbebenwarngeräte auf der Anlage.

Was der Stresstest aussagt und was nicht

Im Deutschlandfunk erklärt Wissenschaftsjournalist Sönke Gäthke die Hintergründe der Stresstests und erklärt, warum sie nur bedingt aussagekräftig sind. Laut Gäthke wurde nur nach der Auslegung der Baustruktur, nach Ersatznotstromaggregaten an sicheren Orten, Unfallmanagementrichtlinien, Containmentfiltern, Explosionsschutz oder Ersatzsteuerständen. Und das alles nach den vor Ort gültigen Normen. Aber diese Aspekte betreffen alle den Moment, in dem schon ein Unfall, ein Desaster eingetreten ist. Die aktuellen Untersuchungen beziehen sich also auf den Moment, wenn das Unglück da ist, allerdings auch nur für den Fall eines Erdbebens oder einer Flutkatastrophe. Das sei aber noch nicht die Sicherheit einer Atomanlage.

„Atomkraftwerke haben eigentlich vier Sicherheitsebenen. Und von diesen vier Sicherheitsebenen hat man sich nur eine einzige angeguckt, nämlich die vierte. (…) Normalerweise ist es so, dass die erste Sicherheitslinie, oder die erste Verteidigungslinie die Qualität der Anlage ist. Das heißt, Druckbehälter, Rohre, Turbine, Generator, alles das muss makellos und perfekt sein, damit ein Atomkraftwerk gar nicht erst einen Unfall bekommen. Passiert trotzdem mal etwas, was den Reaktor aus dem normalen Lauf herausbringen könnte – das können Druckstöße sein, das können Temperaturänderungen sein, mit denen man nicht gerechnet hat – dann kommt eine zweite Sicherheitsebene. Das sind Regelanlagen, Begrenzeranlagen, die sollen dazu dienen, dass der Reaktor wieder in seinen normalen Betriebszustand zurückfindet. Klappt das auch nicht – es könnte ja mal sein, dass ein Rohr bricht, ein Kühlwasserrohr bricht, dann läuft Kühlmittel aus – dann hilft nur noch die dritte Ebene. Das sind Noteinrichtungen. Dann schaltet man den Reaktor ab, dann schaltet man Notstromaggregate an, Notkühlanlagen an, um die Anlage dann wieder in Betrieb zu bekommen. (…) diese vierte Ebene tritt dann in Kraft, wenn die ersten drei nicht mehr funktionieren. Und das soll sein, die Radioaktivität in irgendeiner Form am Austritt zu hindern. Und nur diese vierte Ebene, das ist diejenige, die man sich angeguckt hat. Das ist, wenn ich das beim Auto mal übertragen darf, das ist so, als würde man die Sicherheit eines Autos untersuchen, indem man sich nicht Fahrerassistenzsysteme ansieht, ABS oder ESP, sondern nur: Hat das Auto eigentlich Sicherheitsgurt oder Airbags.“

  • “Der Stresstest war ein Schnarchtest”
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Quellen (Auszug): dpa, dradio.de; 04.10.2012