Ein Jahr Atomausstieg – ein Jahr Scheindebatten

Vor einem Jahr, am 6. August 2011, trat in Deutschland das Gesetz zum Atomausstieg in Kraft. Seitdem sind acht alte Atomkraftwerke für immer stillgelegt. Doch die Anstrengungen für eine Energiewende und einen tatrsächlichen und umfassenden Atomausstieg sind eher gering. Im Gegenteil bastelt die Atomlobby mit Unterstützung von Wirtschaftspolitikern bereits an einem Comeback.

Anzahl AKW in Deutschland 1964-2022

Anzahl AKW in Deutschland 1961-2022

Das „Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes“ schrieb im letzten Jahr vor, dass die sieben ältesten Anlagen mit Inkrafttreten des Gesetzes stillgelegt werden müssen. Seit Fukushima im März 2011 waren diese Reaktoren bereits vom Netz:

  • Biblis A und B (Hessen)
  • Brunsbüttel (Schleswig-Holstein)
  • Isar 1 (Bayern)
  • Neckarwestheim 1 (Baden-Württemberg)
  • Philippsburg 1 (Baden-Württemberg)
  • Unterweser (Niedersachsen)
  • Krümmel (Schleswig-Holstein).

Damit sind in Deutschland noch neun Atomkraftwerke am Netz. Im „Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren“ ist geregelt, dass sie entweder endgültig abgeschaltet werden müssen, wenn sie die ihnen erlaubte Strommenge produziert haben oder spätestens zu folgenden Zeitpunkten:

  • mit Ablauf des 31. Dezember 2015 das AKW Grafenrheinfeld,
  • mit Ablauf des 31. Dezember 2017 das AKW Gundremmingen B,
  • mit Ablauf des 31. Dezember 2019 das AKW Philippsburg 2,
  • mit Ablauf des 31. Dezember 2021 die AKW Grohnde, Gundremmingen C und Brokdorf,
  • mit Ablauf des 31. Dezember 2022 die AKW Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2.

Die Atomkraftwerksbetreiber E.ON, RWE und Vattenfall verlangen für die Stilllegung ihrer Anlagen Schadensersatz, der in Milliardenhöhe teilweise vor internationalen Gerichten eingeklagt werden soll. Diese Forderung weisen AtomkraftgegnerInnen ab, denn mit dem schon bis heute produzierten Atommüll ist den Folgegenerationen eine nicht zu bewältigende Aufgabe übertragen worden. Jahrtausende tödliche Gefahren zugunsten von kurzfristigen Konzerngewinnen.

Im ersten Halbjahr 2012 kam zum ersten Mal in der Geschichte Deutschlands mehr als ein Viertel des in Deutschland erzeugten Stroms aus erneuerbaren Energien, das sind vier Prozentpunkte mehr als im ersten Halbjahr 2011. Besonders die Windenergie ist stark am wachsen: von Juli 2011 bis Juni 2012 ist die Spitzenleistung von knapp 28 auf 30 Gigawatt gestiegen. Die im Jahr 2011 neu installierte Photovoltaik-Leistung betrug 7,5 GWpeak, insgesamt waren Ende 2011 Anlagen mit einer Gesamtleistung von 24,8 GWpeak am Netz. Bis Mitte 2012 ist diese Leistung auf etwa 29 GWpeak weiter gestiegen.

Strompreisentwicklung 1998 - 2012

Strompreisentwicklung 1998 - 2012

An der Leipziger Strom-Börse ist der Preis pro Kilowattstunde dank der Erneuerbaren Energien weiter gesunken, zeitweise – an windreichen und sonnigen Tagen – sank der Preis wegen des Überangebots sogar auf 0 Euro. Weil aber am Ende die Stromkonzerne die Preise für den Endverbraucher bestimmen, kommt der Börsenpreis dort nicht an. Doch auch der massive Preisanstieg ist nach der Abschaltung der Atomkraftwerke ausgeblieben: Der Brutto-Durchschnittsstrompreis pro Kilowattstunde (kWh) für private Haushalte mittlerer Größe (Stromverbrauch 3.500 kWh), basierend auf den Angaben des Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft, stieg nur leicht an. Der aktuelle Strompreis hängt allerdings nur zu einem kleinen Teil mit der Energiewende zusammen – vielmehr mit Spekulationen an der Börse. Stromintensive Unternehmen wie etwa die metallverarbeitende Industrie bekommen erhebliche Vergünstigungen: sie bezahlen weniger oder gar keine staatlich verordnete Umlage zur Förderung der Erneuerbaren Energien – politisch gewollte Wirtschaftsförderung zu Lasten der normalen Verbraucher. Der Strompreis würde aber auch ohne Energiewende steigen – denn die endlichen Energieträger Uran, Kohle, Öl und Gas werden nicht billiger – vor allem in Zeiten internationaler Auseinadersetzungen.

Dass Deutschland dank der Abschaltung der alten AKWs am Rande großflächiger Stromausfälle stünde, konnte selbst an kältesten Wintertagen widerlegt werden. Zwar musste auf Reservekraftwerke zurückgegriffen werden und die Eingriffe in Netz-Regelungen durch die Bundesnetzagentur haben sich erhöht. Grundsätzlich ist das „Blackout“ aber ausgeblieben – selbst als es zu außerplanmäßigen AKW-Abschaltungen kam.

2015 soll mit Grafenrheinfeld das nächste AKW vom Netz gehen. In Bayern prophezeien daher Atomlobby und Wirtschaftspolitiker schonmal großflächige Stromausfälle. Man müsse daher eine Laufzeitverlängerung, besser ein Überdenken des gesamten Atomausstiegs in Betracht ziehen.

Nach einer Umfrage, die das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid im Juni 2012 für FOCUS durchführte, wollen 48 Prozent der Befragten Mehrkosten bis maximal 20 Euro im Monat akzeptieren. Fast zehn Prozent würden sogar mehr als 20 Euro im Monat für erneuerbare Energien akzeptieren. Unterstützung gibt es von höchster Stelle: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mehrfach klar gemacht, dass sie an der Energiewende in all ihren Konsequenzen um jeden Preis festhalten will.

„Deutschland ist auf einem guten, weltweit vorbildlichen Weg, aber solange deutsche Energiekonzerne weiter Atommüll produzieren, eine Scheindebatte um die Atommülllösung geführt wird, die Atomforschung weiter unterstützt und deutsche Konzerne mit Atomtechnik in aller Welt Geld verdienen werden wir keine Ruhe geben“, so Jan Becker von contrAtom. „Wir fordern den sofortigen Atomausstieg – Stillegung aller Atomanlagen, sofort!“

  • Die Wahrheit zum Atomausstieg
    5. Juni 2012 – Deutschland steigt aus. Ein Medienrummel, eine Anti-Atom-Kanzlerin, der (ehemalige) Umweltminister Röttgen wird zum AKW-Abschalter. Doch ein ganz dicker Brocken ist im Zusammenhang mit dem neuen „Konsens“ über den Atomausstieg auf der Strecke geblieben.
  • Fliegen ohne Landebahn: 50 Jahre Atomkraft – eine Bilanz
    7. August 2012 – Am 24. Juli 1962 gründeten der Stromkonzern RWE und das damalige Bayernwerk (heute E.On) eine Gesellschaft, die den Betrieb eines Atomkraftwerks (AKW) in Gundremmingen im Donauried vorsah. Es sollte das erste Groß-AKW in Deutschland werden. Damit ist es gerade einmal 50 Jahre her, dass der Startschuss für die Atomenergie in Deutschland fiel. In zehn Jahren soll der letzte Reaktor abgeschaltet werden. Die Kosten für den Bau, den Abriss und eine Lösung für den Atommüll sind gigantisch.
  • Ein Jahr Energiewende – Atomlobby bastelt an Comeback
    5. Juni 2012 – Ein Jahr nach dem Beschluss der Bundesregierung zum stufenweisen Atomausstieg bis zum Jahr 2022 ist die Energiewende in Deutschland noch nicht soweit, wie sie sein könnte. Würden alle Politiker an einem Strang ziehen, wäre der Kraftakt, der mit der Reaktorkatastrophe von Fukushima eingeläutet wurde, effektiver und gerechter zu meistern. Aber im Gegenteil basteln Atomlobby und -industrie gemeinsam mit der Politik an einem Comeback der alten Atomkraftwerke.
  • Erneuerbare Energien holen Atomkraft ein
    9. Dezember 2011 – Mit über 40 Milliarden Kilowattstunden ist Windkraft die wichtigste regenerative Energiequelle geworden, die immer wieder neue Rekorde aufstellt. Die Erneuerbaren Energien ziehen beim Anteil am Strommix mit der Atomenergie gleich – und werden sie wohl im nächsten Jahr überholen.

Quellen (Auszug): focus.de, bildblog.de, gesetze-im-internet.de, de.wikipedia.org, bdew.de; 06.08.2012