Milliarden für den Fusionsforschungsreaktor ITER

Bevor der Bau des Reaktors im französischen Cadarache wirklich begonnen hat, erweisen sich die ursprünglichen Kostenabschätzungen als vollkommen unzureichend. Vor 2050 wird die Fusiontechnik keinen Beitrag zur Stromversorgung leisten können. Und trotzdem werden weiterhin Unsummen in das Milliardengrab geworfen, das genau wie Atomkraftwerke atomare Risiken birgt. Atomkraftgegner fordern ein Ende der atomaren Großprojekte – zugunsten einer dezentralen Energiewende.

Atomstandort Cadarache, Frankreich

Atomstandort Cadarache, Frankreich

Ursprünglich waren die Baukosten des Iter-Reaktors, in dem am südfranzösischen Standort Cadarache aus der Verschmelzung von Wasserstoffatomen zu Helium Wärme erzeugt werden soll, die in Strom verwandelt wird, auf 2,7 Milliarden Euro taxiert worden. Nun ist die Rede von 7,2 Milliarden Euro. Für den europäischen Anteil von 45 Prozent sind deshalb zusätzliche 1,3 Milliarden Euro fällig. Die übrigen Beteiligten – China, Indien, Japan, Russland, Südkorea und die USA – tragen jeweils neun Prozent der Kosten. Neben der Raumstation ISS ist „Iter“ das teuerste internationale Forschungsprojekt. Die Anlage wird nicht vor 2050 Strom produzieren, doch der Anstieg des Energieverbrauchs mache es nötig, die Technologie zu erproben, heißt es im Forschungsministerium.

Der Haushaltsausschuss des Europäischen Parlaments hat diese Woche einem Kompromiss zwischen Parlament und Rat über diese Zusatzfinanzierung in der Höhe von 1,3 Milliarden Euro in den Haushalten 2012 und 2013 zugestimmt. 100 Millionen Euro sind dafür bereits im Haushalt 2012 vorgesehen, weitere 840 Millionen sollen aus nicht verwendeten EU-Mitteln im Haushalt 2011 kommen. Die übrigen 360 Millionen sollen aus dem Haushalt 2013 finanziert werden, wobei eine Entscheidung über die genaue Finanzierung erst im Rahmen der Budgetverhandlungen für 2013 getroffen werden soll.

Mühelos werden in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit und schmerzlicher Einschnitte in nationale Haushalte Milliarden für ein völlig ungewisses Forschungsprojekt bereitgestellt. Die Grünen fordern nun ein Moratorium für den Bau, die Europa-Abgeordnete Rebecca Harms befürchtet, dass dass der Rat die Kosten erneut aus dem Forschungsetat der Union nimmt – und damit zwangsläufig nachhaltige Investitionen in erneuerbare Energieträger und verbesserte Energieeffizienz kürzer kommen.

„Bei diesem Projekt ist alles falsch: eine Kostenexplosion, Intransparenz und Probleme mit dem Zeitplan“, so Sylvia Kotting-Uhl, Bundestagsabgeordnete der Grünen.

Atomkraftgegner warnen vor der nächsten atomaren Großtechnologie, denn eine nachhaltige Energiewende beruht auf dezentralen und kleineren Anlagen und nicht auf zentralisierten Strukturen. Auch mit dem deutschen Atomausstieg hat die weitere Förderung von Atomtechnik nichts mehr zu tun. Während der Betriebszeit wird das Material im inneren Reaktor hoch radioaktiv, was eine sehr kostspielige Entsorgung nach sich ziehen muss. Dieses Material ist zwar im Gegensatz zu den atomaren Brennstäben der Atomspaltungsreaktoren nur etwa 100 Jahre aktiv, dafür sind jedoch die Mengen erheblich größer. Das für die Fusion erforderliche Tritium kann feste Strukturen durchdringen und bildet sich im Kontakt mit Luft zu tritiiertem Wasser, das schwerste biologische Schäden verursachen kann, wenn es in den Wasserkreislauf kommt. Der Kühlwasserbedarf für die Atomfusionsreaktoren ist extrem hoch. Schon aus dem letztgenannten Grund liegt in dieser Reaktortechnik die Tendenz, sie in hochkonzentrierten Produktionszentren einzusetzen.

Da sie selbst diesen Weg nicht beschreiten werden, bleibt nur noch die politische Einstellung der Fusionsforschung!

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Quellen: rebecca-harms.de, sueddeutsche.de, spiegel.de, hermannscheer.de; 11.12.2011