Fabrikationsfehler? Massenprüfung für europäische Reaktorkessel angeordnet

Die Vereinigung der europäischen Atomaufsichtsbehörden, kurz WENRA, hat die Prüfung aller 131 Reaktorkessel in Europas Atomkraftwerken angeordnet. Anlass sind Risse in den Reaktorbehältern der belgischen AKW Doel und Tihange. Atomkraftgegner fordern die sofortige Abschaltung aller Anlagen, da die absolute Sicherheit nicht mehr nachgewiesen werden könne.

Atomkraft: Sicher ist nur das Risiko!

Atomkraft: Sicher ist nur das Risiko!

Diese „Massenprüfung“ ist in Form und Inhalt ungewöhnlich für die sonst eher im Stillen arbeitende Vereinigung der europäischen Atomaufsichtsbehörden, befindet der WDR. Nachdem in den belgischen Meilern im vergangenen Jahr Risse gefunden wurden, die auf Produktionsfehler hinweisen, habe eine Expertengruppe entschieden, dass diese Fehler auch bei allen anderen Reaktoren nicht ausgeschlossen werden könnten.

  • Jetzt sollen alle 131 Atomkraftwerke in Europa auf mögliche Fehler an den Reaktordruckbehältern überprüft werden.

Damals hieß es, die festgestellten Risse, tausende an der Zahl, in den Druckbehältern von Doel und Tihange seien Folgen von Produktionsfehlern bei einem bestimmten Hersteller – und nur die 21 Behälter dieses Herstellers seien potenziell betroffen. In Deutschland ist keines der AKW mehr in Betrieb.

Im Reaktordruckbehälter befinden sich die Brennstäbe, es herrschen hohe Temperaturen udn Drücke. Kommt es zum Versagen des 25cm-Stahlbetonbehälters, kann Radioaktivität aus dem Innern austreten. Weil der Behälter das „Herzstück“ der Sicherheit eines AKW ist, gelten „besonderes strenge Sicherheitskriterien“, berichtet Hans Wanner, oberster Atomaufseher in der EU. Der Reaktordruckbehälter müsse einfach „eine genügende Sicherheitsmarge haben. Daher reicht es nicht aus, ein Leck abzuwarten – sondern es muss präventiv untersucht werden.

Nun soll „nach Aktenlage“ geprüft werden: Unterlagen des Herstellers, Prüfergebnisse und Vorfälle der Vergangenheit werden von den Experten gesichtet. Nur wenn es die nationale Atomaufsicht für nötig hält, werden in einem zweiten Schritt die Druckbehälter selbst auf Schäden untersucht. In Belgien waren die Risse erst gefunden worden, nachdem tatsächliche Prüfungen durchgeführt wurden.

  • Nach Auskunft des Bundesumweltministeriums laufen diese Prüfungen in Deutschland derzeit noch. Die AKW-Betreiber hingegen erklärten gegenüber dem WDR, dass die Prüfungen bereits abgeschlossen und keine Mängel festgestellt worden seien.

Ob in den einzelnen AKW tatsächlich Prüfeinrichtungen zum Einsatz kommen, das liegt in den Händen jeder einzelnen, nationalen Aufsichtsbehörde. Denn ein einheitliches EU-Recht für Atomsicherheit gibt es nicht. In Belgien wurden die Meiler trotz tausender Risse wieder in Betrieb genommen.

Atomkraftgegner fordern die sofortige Abschaltung aller Meiler, da eine absolute Sicherheit gegen schwere Unfälle nicht gewährleistet werden kann:

„Dass tausende Risse im Herzstück der Sicherheit eines Atomkraftwerks als Restrisiko deklariert werden, ist nicht hinnehmbar“, so Jan Becker von contrAtom. „Wir fordern die zuständigen deutschen Atomaufsichtsbehörden auf, unverzüglich realistische und tatsächliche Prüfungen der Reaktordruckbehälter anzuordnen. Die letzten neun Meiler in Deutschland müssen dafür sofort vom Netz.“

  • Belgien: Rissige Reaktoren wieder am Netz
    4. Juni 2013 – Nach knapp einem Jahr Zwangspause wurde der belgische Atomreaktor Doel 3 wieder in Betrieb genommen. Es waren im Reaktorbehälter von Doel 3 und Tihange 2 tausende Haarrisse festgestellt worden, die Atomaufsicht zweifelte daran, dass die Blöcke aus Sicherheitsgründen jemals wieder ans Netz gehen könnten. Atomkraftgegner rufen nun zu Protesten auf.
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  • Gericht entscheidet: begründete Sicherheitsmängel an Schweizer AKW Mühleberg
    13. August 2012 – Ein weiterer Etappensieg für schweizer AtomkraftgegnerInnen: Das Bundesverwaltungsgericht erkennt an, dass die Mühleberg-KritikerInnen Sicherheitsbedenken in Bezug auf die Risse im Kernmantel glaubhaft dargelegten, so dass das Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) nun gesetzlich verpflichtet ist, die Sachlage zu überprüfen.

Quelle (Auszug): swr.de, 06.09.2103