Atomstandort Lingen

In Lingen, Niedersachsen, befindet sich das Atomkraftwerk Emsland, das noch bis Ende 2022 in Betrieb bleiben darf. Auf dem Gelände steht zudem ein kleinerer Reaktor, der abgeschaltet ist und abgerissen wird. Für die Lagerung der verbrauchten Brennelemente wurde ein Zwischenlager neben dem AKW gebaut. Nicht weit entfernt wird eine Brennelementefabrik betrieben.

Der Atomstandort Lingen befindet sich wenige Kilometer südlich von Lingen im Landkreis Emsland, im Westen des Landes Niedersachen, 20km von der holländischen Grenze entfernt. Das AKW Emsland hat einen 152 Meter hohen Naturzug-Nasskühlturm und ist daher schon von weitem sichtbar.

Am Standort befinden sich:

  • Das Atomkraftwerk Emsland (KKE) / Lingen-II, in Betrieb bis Ende 2022.
  • Das Atomkraftwerk Lingen (KWL) / Lingen-I, seit 1979 abgeschaltet und im Rückbau
  • Das Standort-Zwischenlager Lingen für verbrauchte Brennelemente aus dem Betrieb des KKE, unmittelbar neben dem aktiven Reaktor
  • Die ANF-Brennelementfabrik Lingen

Die Brennelementefabrik liegt etwa einen Kilometer nordöstlich zum AKW Emsland, das AKW Lingen etwa 2 Kilometer in nordwestliche Richtung, getrennt durch die Weser.

Technik

AKW Lingen (KWL)

  • Reaktortyp: Siedewasserreaktor, Demonstrationsanlage für spätere Siedewasserreaktoren
  • Hersteller: AEG/KWU
  • Leistung: 183 MW (netto) / 268 MW (brutto)
  • Betreiber: VEW (Betrieb) / RWE (nach Stilllegung)

Durch eine fossil befeuerte zusätzliche Aufheizung des Reaktordampfes wurde versucht, einen höheren Gesamtwirkungsgrad zu erreichen. Der Reaktor hatte eine thermische Leistung von 540 MW, der mit Mineralöl befeuerte Überhitzer hatte eine thermische Leistung von 214 MW. Daraus ergab sich für das Kraftwerk eine elektrische Leistung von 250 MW, hiervon 82 MW aus dem Überhitzer.

Reaktordaten AKW Emsland (KKE)

  • Reaktortyp: Druckwasserreaktor 4. Generation  / Konvoi (Baulinie 80)
  • Leistung: 1.335 MW (netto) / 1.406 MW (brutto), davon Eigenbedarf: 71 MW
  • Hersteller: Siemens/KWU
  • Brennstoff: 193 Brennelemente mit Schwermetallgewicht von insgesamt 103 Tonnen, Uran- und MOX-Brennstäbe
  • Kühlung: 152 Meter hohen Naturzug-Nasskühlturm
  • Betreiber: Kernkraftwerke Lippe-Ems GmbH
  • Gesellschafter: RWE Power AG (87,5%), E.ON Kernkraft GmbH (12,5%)
  • Das Kraftwerk wurde als Ersatz für das 1977 stillgelegte AKW Lingen geplant.
  • Die seit Jahren beantragte Leistungserhöhung um 100 Megawatt auf eine thermische Reaktorleistung von 3.950 Megawatt liegt auf Eis.

Standortzwischenlager Emsland (SZL)

  • 130 Lagerplätze für Behälter mit einem Schwermetallgewicht von 1.250 Tonnen.
  • Hallenbau STEAG-Konzept: Wandstärke ca.1,2 m, Deckenstärke ca. 1,3 m, einschiffiges Gebäude
  • Laut Bundesregierung werden etwa 55 Behälter-Stellplätze noch bis zur Stilllegung des AKW Emsland benötigt, so dass 38 Stellplätze frei bleiben.

Advance Nuclear Fuel GmbH Lingen (Brennelementeherstellung)

  • Betreiber: AREVA GmbH (100%), die deutsche Tochter des AREVA Konzerns
  • Am Standort Lingen werden Brennelemente für Druck- und Siedewasserreaktoren gefertigt. Dies umfasst den Betrieb einer UF6-Konversionsanlage, den Prozess der UO2-Tablettenfertigung sowie die abschließende Montage der Brennstäbe und Brennelemente. In der Anlage wird u.a. angereichertes Uranium hexafluoride (UF6) zu Uranoxid (UO2) umgewandelt.

Betriebsablauf

Atomkraftwerk Emsland

2015

  • 3.-6.4.2015 – Reaktor nach Leckage in Probenahmeleitung des radioaktiven Primärkreises vorsorglich vom Netz genommen.
  • 02.-31.05. – Kraftwerk für jährliche Revision vom Netz. U.a. Austausch von 40 BE, davon sind zwölf Mischoxid-Brennelemente. Unplanmäßig musste ein defekter Rotor in einem Generator ausgetauscht werden.

2014

  • 16.05.-03.06. – Reaktor für Jahresrevision mit Brennelementewechsel vom Netz.

2013

  • 28.10.2013 – Reaktor nach Ölverlust und Feuer an Kühlmittelpumpe kurzzeitig vom Netz
  • 19.05.-06.06.2013 – Reaktor für Revision und Brennelementewechsel für ca. 3 Wochen vom Netz

2012

  • 09.-29.06.2012 – Reaktor für Revision und Brennelementewechsel vom Netz

2011

  • 21.05.-08.06. – Reaktor für Revision vom Netz

2010

  • 01.07. – 3 Stunden vom Netz wegen erhöhter Dampfrate über der Druckhalter-Armaturenstation
  • 05.-25.06. – für jährliche Revision vom Netz

2009

  • 01.08. – Reaktor wird wieder angefahren
  • 24.07. – Reaktorschnellabschaltung nach Trafo-Defekt
  • 07.07. – Turbinenschnellabschaltung nach Störung im 380kV-Netz
  • 13.06. – Reaktor für Revision vom Netz

2008

  • 19.08.-20.08. – Reaktor wurde am 19.08., 15:50 Uhr abgeschaltet, Ursache laut Betreiber RWE Power: sonstiges.

Kritik

  • Störfälle seit Betriebsbeginn (Stand 02/2016):
    AKW Emsland – 141
    AKW Lingen – 31
    Brennelementewerk – 137

Atomkraftwerk Emsland

Längere Laufzeit
Gemäß des rot-grünen Atomausstiegs war eine rechnerische Stilllegung nach dem Verbrauch der zugeteilten Reststrommengen etwa 2018 zu erwarten gewesen. Der neue “Ausstieg” bescherte dem niedersächsischen Meiler zwei zusätzliche Betriebsjahre: Spätestens am 31.12.2020 soll er nach derzeit gültigem Gesetz für immer abgeschaltet werden.

MOX-Brennelemente
Als Brennstoff kommt im KKE neben Uranbrennelementen auch Misch-Oxid (MOX) zum Einsatz. Diese Brennstäbe enthalten hochgiftiges Plutonium, wovon schon Milligramm tödlich wirken. Der Transport und Umgang mit dem Stoff birgt die latente Gefahr einer großflächigen Verseuchung.

„Größere“ Störfälle sind im AKW Emsland bisher nicht bekannt geworden. Dennoch wurden zwischen 1998 und 2005 40 kleinere Pannen gemeldet. Am 24. Juli 2009 kam es wegen eines zu niedrigen Dampferzeugerfüllstand zu einer Reaktorschnellabschaltung. In 2010 wurden fünf Ereignisse gemeldet, in 2011 eine Funktionsstörung im Reaktorschutzsystem und der Ausfall einer Notstromschiene. In 2012 mussten aus dem AKW Emsland aber schon neun Störfälle gemeldet werden, u.a. wurden vertauschte Anschlüsse und eine Leckage festgestellt.

Technik und Menschen sind auch in Lingen niemals perfekt. Ein Versagen oder eine Verkettung unglücklicher Umstände kann unweigerlich zum schweren Unfall führen. Trotz des vergleichsweise hohen Sicherheitsstandards muss zudem davon ausgegangen werden, dass mit zunehmendem Alter der Anlage auch das Risiko zunimmt. Die beantragte Erhöhung der Reaktorleistung auf 3.950 Megawatt thermische Leistung wäre eine zusätzliche Belastung für die alternden Komponenten.

„Tarnschutzsystem“ gegen Terror
Um dem Risiko eines gezielten Terrorangriffs mithilfe eines Flugzeugs, gegen das kein Reaktor der Welt effektiv geschützt werden kann, zu begegnen, wurde in Emsland die Installation eines „Tarnschutzsystems“ beantragt. Nach den Anschlägen 2001 auf das World Trade Center waren Massnahmen beschlossen worden – mehr als zehn Jahre danach mangelte es an der Umsetzung. Neben „Nebelwerfern“, die den Reaktor in einen Kunstnebel hüllen sollen und damit ein gezieltes Ansteuern verhindern, wird um das Zwischenlager eine Mauer gebaut. Hier werden „neue Erkenntnisse über Täterverhalten“ als Begründung angenommen. Atomkraftgegner kritisieren die Massnahmen schon vor der Fertigstellung als wenig wirkungsvoll, vielmehr handelt es sich um eine Alibihandlung, denn ein realistisches Unfallszenario werde ignoriert.

Standortzwischenlager

Das SZL Lingen ist baugleich mit dem SZL Brunsbüttel. Am 08.01.2015 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Schleswig, dass die Sicherheit des SZL Brunsbüttel nicht nachgewiesen und die Aufhebung der Betriebsgenehmigung rechtens ist.

Brennelementewerk

Die Lager in Lingen sind nicht gegen Flugzeugabstürze ausgelegt.

Der politisch beschlossene Atomausstieg von 2011 umfasst nur die Abschaltung aller Atomkraftwerke, die Urananlagen wie das Brennelementewerk dürfen unbefristet weiterbetrieben werden.

Chronik

1964

  • 01.10.1964 – Baubeginn AKW Lingen

1968

  • AKW Lingen: Erstkritikalität: 31.01.1968, Inbetriebnahme: 01.07.1968, Kommerzieller Betrieb: 01.10.1968

1977

  • Am 05.01.1977 geht das AKW Lingen nach schwerem Maschinenschaden vom Netz.

1979

  • Offizielle Stilllegung AKW Lingen: 05.01.1979. Der Betreiber entscheidet, den Nuklearteil stillzulegen und die Dampfturbine mit einer Hochtemperatur-Gasturbine weiter zu nutzen.
  • 18.01.1979 – Betriebsgenehmigung  nach §7 AtG, damit Betriebsbeginn der Brennelementeherstellung Advance Nuclear Fuel GmbH Lingen

1982

  • 10.08.1982 – Baubeginn AKW Emsland

1983

  • Letzter Abtransport bestrahlter Brennelemente aus dem AKW Lingen, insgesamt sind 585 Brennelemente (66 t SM) angefallen.

1985

  • AKW Lingen, November: Genehmigung zur Stilllegung und Herbeiführung und Betrieb des „sicheren“ Einschlusses

1988

  • seit 30.03.1988 – AKW Lingen im „sicheren Einschluss“
  • 30. März 1988 – 4. Teilerrichtungsgenehmigung TEG nach §7 AtG für das AKW Emsland
  • 19.04.1988 – Inbetriebnahme des AKW Emsland
  • seit 20.06.1988 – Kommerzieller Betrieb des AKW Emsland

1989

  • 1989/90 wurde auf dem Kraftwerksgelände des AKW Lingen Molkepulver aus Bayern gelagert, das infolge der Katastrophe von Tschernobyl radioaktiv belastet war. Mittels eines Ionenaustauschverfahrens wurde die Belastung mit Caesium-137 von 8.000 Bq/kg auf 100 Bq/kg reduziert und das so behandelte Pulver als Viehfutter verwendet. Der verbleibende radioaktive Abfall wurde nach Morsleben gebracht.

1994

  • 08.06.1994 – Kapazitätserweiterung der ANF Brennelementeherstellung: Betrieb mit angereichertem Uran

1997

  • 07.03.1997, ANF Brennelementeherstellung: Kapazitätserhöhung um 250 t extern gefertigter Urantabletten pro Jahr
  • 14.11.1997: Genehmigung für Lockerung des „sicheren“ Einschlusses zur Konditionierung von Betriebsabfällen für deren Verbringung ins ERA Morsleben und für Freigabekampagnen. Die Verbringung nach Morsleben scheiterte an der Beendigung der dortigen Einlagerung 1998.

2002

  • Standortzwischenlager: Genehmigung vom 06.11.2002 nach §6 AtG mit Anordnung des Sofortvollzuges
  • 10.12.2002 – Inbetriebnahme des Standortzwischenlagers

2003

  • Dezember 2003: Ausfall der Behälterdichtheitsüberwachung im Standortzwischenlager

2004

  • 21.12.2004 – Antrag zur Fortführung des sicheren Einschlusses des AKW Lingen

2005

  • 11.01.2005 – Kapazitätserweiterung der ANF Brennelementeherstellung: Erhöhung des Uranpulverdurchsatzes auf 650 Tonnen pro Jahr

2006

  • 18.06. – 30.06. – AKW Emsland für 18. Jahresrevision abgeschaltet.

2007

  • 09.06. – 28.06. – AKW Emsland für 19. Jahresrevision abgeschaltet.
  • 31.07.2007 – 1. Ergänzung zur Genehmigung des SZL: Erweiterung für die Einlagerung von MOX-Brennelementen
  • Dezember: Der Antrag zur Fortführung des sicheren Einschlusses des AKW Lingen wird nachdem das Bundesverwaltungsgericht die Rechtskräftigkeit der Genehmigung für das Atommülllager Schacht KONRAD festgestellt hat, zurückgezogen.

2008

  • 01.02.2008 – 1. Änderungsgenehmigung für das SZL, Erhöhung der möglichen Restfeuchte
  • 31.05. – 24.06. – AKW Emsland für 20. Jahresrevision abgeschaltet.
  • 15.12.2008 – Der Betreiber beantragt den vollständigen Rückbau des AKW Lingen.

2009

  • Im Sommer wird der ca. 150 Meter hohen Schornstein des AKW Lingen abgerissen. Wegen des ölbefeuerten Überhitzers verfügte das Kraftwerk über einen solchen für AKW ungewöhnlichen Schlot.
  • 13.06. – 28.06. – AKW Emsland für 21. Jahresrevision abgeschaltet.
  • 02.12.2009: Kapazitätserweiterung der ANF Brennelementeherstellung: Erhöhung des Uranpulverdurchsatzes auf 800 Tonnen pro Jahr. Erhöhung der genehmigten Lagerkapazität von UF6 auf max. 275 t.

2010

  • 05.06. – 25.06. – AKW Emsland für 22. Jahresrevision abgeschaltet.

2011

  • 21.05. – 08.06. – AKW Emsland für 23. Jahresrevision abgeschaltet.

2012

  • 09.06. – 29.06. – AKW Emsland für 24. Jahresrevision abgeschaltet.
  • 13.12.2012-12.02.2013 – Öffentliche Auslegung der Rückbau-Unterlagen AKW Lingen
  • 18.12.2012 – EU-Kommission gibt positive Stellungnahme zum Rückbau des AKW Lingen ab

2013

  • 19.05. – 06.06. – AKW Emsland für 25. Jahresrevision abgeschaltet.

2014

  • 16.05. – 03.06. – AKW Emsland für Jahresrevision abgeschaltet.
  • 04.09.2014 – Eröterungstermin für das Rückbaukonzept AKW Lingen
  • 31.12.2014: 32 CASTOR-Behälter im SZL eingelagert
  • Bis 2014 hat das ANF Brennelementewerk mehr als 33.000 Brennelemente für deutsche und europäische AKW hergestellt. Die Auslastung der Anlage hat sich in Bezug auf die 650t/a von 87 % in 2009 auf 39 % in 2013 bzw. 45 % in 2014 reduziert.

2015

  • 02.05. – 31.05. – AKW Emsland für Jahresrevision abgeschaltet.

2022

  • 31.12.2022 – Gesetzliche Abschaltung AKW Emsland

2042

  • 40 Jahre nach Betriebsbgeginn: Betriebsende Standortzwischenlager

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