Widersetzen: Polizeikessel nach Castor-Blockade unzulässig

Die Ingewahrsamnahme von Demonstranten in einem „Polizeikessel“ beim Castor-Transport im November 2011 war rechtswidrig. Einen entsprechenden Beschluß des Landgerichts Lüneburg erhielt jetzt der erste von mehr als hundert Betroffenen, die gegen den Kessel gerichtlich vorgegangen sind. Der Atomgegner hatte im Rahmen einer Aktion der Gruppe „widerSetzen“ gemeinsam mit etwa 3000 MitstreiterInnen bei Harlingen im Wendland die Castor-Transportstrecke besetzt, um die Einfahrt des bisher letzten Zuges mit Atommüll aus Frankreich zu verhindern.

Nachdem die Polizei am Nachmittag nicht imstande war, die Blockade in der Entstehung zu behindern, begann sie am Abend die Räumung mit Festnahme und, wie es in Polizeijargon heißt, „Feldgewahrsam“ vorzubereiten. Kurz vor drei Uhr nachts wurde dann die Auflösung der Versammlung von der Polizei verfügt und wenig später von der Mitte der Blockade in beide Richtungen geräumt. Angesichts der teilweise rabiaten Polizeimethoden und der drohenden Festnahme verließ dann etwa die Hälfte der Teilnehmer die Blockade, festgenommen wurden etwa 1.300 Menschen. Zu Unrecht, wie jetzt das zuständige Landgericht Lüneburg in zweiter Instanz befand:

Die Freiheitsentziehung stellt einen schwerwiegenden Eingriff in die Menschenrechte dar, der mit gutem Grund nach deutschem und europäischem Verständnis nur bei ebenso schwerwiegenden Gründen und mit juristisch einwandfreien Vorgehen zulässig ist. Bereits die Gründe waren nicht ausreichend, denn gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ist eine Freiheitsentziehung, so das Gericht: „lediglich im Hinblick auf die Verletzung von Strafgesetzen erlaubt (…). Konkrete Anhaltspunkte dafür, daß von dem Betroffenen Straftaten ausgegangen sind oder zu erwarten waren, liegen jedoch nicht vor.“

Bei der Durchführung der Räumung hätte außerdem nach Auffassung des Gerichts zunächst ein Platzverweis ausgesprochen werden müssen, mit der Möglichkeit, das Gelände zu verlassen ohne in den Polizeikessel gebracht zu werden.

Zur Überprüfung der Gründe und Verfahrensweisen der Festnahme ist sodann jeder/jede Festgenommene unverzüglich einem Richter vorzuführen. Wie so oft in entsprechenden Situationen versäumte die Polizei, dieser Verpflichtung auch nur versuchsweise nachzukommen, von der Einsatzleitung lapidar abgetan mit der Feststellung, daß man soviele Festgenommene ja gar nicht zur Einzelfallprüfung vorführen könne. Genau das ist aber gemäß deutschem und europäischem Recht erforderlich, und so rügt das Landgericht ausdrücklich, daß die Polizei zwar genügend Zeit fand,den Kessel materiell und organisatorisch vorzubereiten, aber keine Vorkehrungen getroffen wurden, die Festgenommenen in Folge auch einem Richter vorzuführen. So wurden direkt nach Beginn der Räumung nur 21 Personen zu den bereitstehenden Richtern nach Lüchow gebracht, bei den weiteren befand die Polizei die richterliche Überprüfung der Haft offensichtlich als unnötig.

Besonders erfreulich für die Betroffenen: Im Unterschied zur ersten Instanz erlegt das Gericht der Landeskasse den Kostenersatz, also die Erstattung von Anwalts- und Fahrtkosten auf.

Die Gruppe widerSetzen, die die Blockade organisiert hatte, fühlt sich durch das Urteil einen Schritt weiter auf dem mühseligen Weg, den legitimen Protest gegen Atommüllerzeugung und -transport zumindest gerichtlich abzusichern. Erschreckend ist, daß trotz der jahrelangen juristischen Erfolge -in den letzten zehn Jahren gab es praktisch keine rechtmäßigen Ingewahrsamnahmen- die Polizei an ihrer verfassungs- und menschenrechtswidrigen Praxis festhält. Damit in Zukunft solche Freiheitsentziehungen unterbleiben, wird die Gruppe versuchen, endlich einmal die Polizeispitze wegen Freiheitsberaubung strafrechtlich zu belangen. Ob der neuerliche Beschluß dabei hilft, wird sich zeigen.

WiderSetzen-Sprecher Knut Hose kündigt weiter an,

„daß viele der Betroffenen auf Schadensersatz klagen werden. Mit entsprechenden Klagen zu früheren Kesseln hatten gerade kürzlich etliche Atomgegner Erfolg, teilweise nach zwölf Jahren. Aufgrund des grob unverhältnismäßigen Vorgehens der Polizei rollt damit auf die Gerichte eine weitere Klagewelle zu. Nachdem ihre Rechte so unverhältnismäßig verletzt wurden, werden viele der Betroffenen jetzt zumindest eine finanzielle Kompensation einzufordern. Nach unserer Einschätzung dürfte es sich für die Kessel 2010 und 2011 insgesamt um annähernd 2500 Menschen handeln.“

Leider verhält sich die Polizei während der direkten Konfrontation oft parteiisch und, wie man sieht, rechtswidrig. So muß nicht nur vor Ort, sondern auch im Nachhinein viel Energie darauf verwendet werden, sich gegen polizeiliche Übergriffe zu wehren, statt die eigentlichen Verursacher, nämlich die bis heute unbelehrbaren Atomstromerzeuger und ihre Fürsprecher, vor Gericht zu bringen und haftbar zu machen für die von ihnen hervorgerufenen Gefährdung und Schädigung.

Die Gruppe „widerSetzen“ beteiligt sich seit etlichen Jahren an den Aktionen gegen die Atommüllerzeugung und speziell gegen die Castor-Transporte in das Zwischenlager Gorleben. In den Jahren 2010 und 2011 organisierte sie umfangreiche Bahnblockaden, deren Teilnehmer in beiden Jahren nach der polizeilichen Räumung der Transportstrecke noch etliche Stunden in einem Freiluftkessel festgehalten wurden.