Atommüll-Endlager: Sie glauben nicht daran, dass sie Fehler gemacht haben

Ein Entwurf zum Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses im niedersächsischen Landtag legt einen desaströsen Eindruck vom Zustand des ehemaligen Endlagerbergwerk Asse-II vor. Ein Bergbauingenieur betonte auf einer BI-Veranstaltung Mitte Juli, er habe schon 1979 vor Risiken gewarnt, seine Ausführungen seien aber ignoriert worden. Die gemachten Fehler haben ungeheure Tragweite, auch für die Zukunft Gorlebens.

Egbert de Beyer veröffentlichte im März 1979 seine Diplomarbeit, in der er sich mit den gebirgsmechanischen Zuständen des Endlagers Asse-2 beschäftigte. Sein Auftraggeber wollte ein Jahr nach dem Ende der Atommüll-Einlagerungen eine Studie mit dem Bestätigung, der Salzstock ist stabil. Das Ergebnis der umfangreichen Untersuchung war das Gegenteil – und wurde deswegen auch verschwiegen. Unbequem waren die Berechnungen des Bergbauingenieurs de Beyer, denn die Verantwortlichen und Bergleute waren von der „Sicherheit“ des Bergwerks, in dem bis heute 126.000 Fässer schwach- und mittelaktiver Müll lagern, überzeugt: „Ich wusste schon damals, diese Grube säuft ab”, sagte de Beyer bei seinem Vortrag in der „Alten Post“ in Dannenberg. Er wundert sich, dass das Bergwerk heute noch steht, denn es sei „extrem kaputt“.

Damals ergaben seine theoretische Ansichten bis zu 8cm breite Risse im Gestein, hervorgerufen durch in die aufgefahrenen Strecken und Hohlräume nachströmendes Salz. Im Fachjargon „Konvergenz“ genannt. Diese Risse sind potentielle Wasserwegsamkeiten. De Beyer entwarf ein Konzept, wie die Asse mit Beton verfüllt werden müsste um die Rissen wieder zu schließen. Die Verantwortlichen der Asse wollten damals aber nichts von diesen alarmierenden Ergebnissen wissen. Im Gegenteil wurde Druck ausgeübt, dass die Arbeit einen anderen Untersuchungsschwerpunkt bekäme. Die Verfüllung der Asse-Kammern wurde dennoch auf eine Weise gestaltet, die bis heute „unnütz“ sind und für die Standsicherheit „nichts gebracht haben“. Grund sind unfachmännische Verfüllarbeiten wodurch weiter Salz zuströmen kann und so Zerstörungen im umliegenden Gestein zulassen.

Eine Bergung der des eingelagerten Atommülls war damals noch kein Thema, auch wurde im Gegensatz zu heute dem mittelaktiven Müll eine viel höhere Aufmerksamkeit geschenkt, als den zehntausenden Fässern mit schwach strahlenden Abfällen. Derzeit wird nämlich eine Kammer mit LAW (low-radioactive waste) angebohrt, um dann zu schauen, wie es darin aussieht. Die MAW (medium-active waste) stehen derweil in einer zugänglichen Kammer hunderte Meter weiter oben und sehr nah an die Stelle, wo Wasser in die Grube lauft. Es könnte also sofort damit begonnen werden, diese Fässer an die Erdoberfläche zurückzuholen. Denn am Ende reduziert gerade hier jedes geborgene Fass das Risiko einer radioaktiven Verseuchung.

Dass angesichts des Asse-Desasters jemals ein Castor-Behälter in Gorleben unter die Erde gebracht würde, daran glaubt de Beyer, der selbst im Wendland lebt, nicht. Schon mit dem Bau des Standortes Gorleben sei der Salzstock hinsichtlich seiner Stabilität beschädigt worden. Grund seien die riesigen Gewölbe, die aufgefahren wurden, die die brisante Konvergenz des Salzes erst zulassen. Durch die hierdurch entstandene Rissen im Salz können Wasserwegsamkeiten im umliegenden Gestein entstehen – mit katastrophale Folgen für das Bergwerk. Atommüll in Behältern aus Metall ist eine Rostgarantie. Austretende Radioaktivität geht in Lösung und wird transportiert. Auch die Überlegung, einen massiven, schweren Atommüllbehälter in leichtes, eher flüssiges Salz zu stellen, sei eine Farce. Denn die Behälter würden schlicht wegsacken. Man könnte Gorleben aber umbauen, allerdings wäre der Aufwand enorm: Alle Strecken und Hohlräume müssten durch einen standhaften kreisförmigen, nicht nachgiebigen Ausbau gestaltet werden, alle Hohlräume dahinter mit Beton verschlossen. De Beyer ist sich sicher: das wird nicht passieren. Denn die Verantwortlichen glauben nicht daran, dass sie Fehler gemacht haben.

Interview mit Egbert de Beyer, Bergbauingenieur

GR: Lieber Egbert, kann man aus Fehlern lernen?

EdB: Ja, aber dafür muss man verstehen welche, Fehler man gemacht hat. Es ist besser etwas zu lernen, was verhindert, dass man Fehler macht. Zum Beispiel die Konvergenzbewegung: Wenn Salz im Bewegung ist und auf einen Hohlraum zuströmt, dann wird, weil das Volumen von Salz gleich bleibt, irgendwo anders im Salz ein Hohlraum geschaffen. Diese Hohlräume erscheinen in Form von Spalten mit genau dem gleichen Volumen wie die des zugeströmten Salzes. Fließt eine Flüssigkeit in eine derartige Spalte zu, die möglicherweise mit Wasser außerhalb der Salzvorkommen in Kontakt steht , dann kann diese Spalte nicht mehr zusammengedrückt werden. Nachfolgende Spalten, verursacht durch spätere oder weiter entfernte Hohlräume, die diese Spalte kreuzen, werden auch mit Flüssigkeit volllaufen. Irgendwann wird die Flüssigkeit einen Hohlraum erreichen. Es wird dann schwierig werden ein Absaufen des Bergwerks zu verhindern, so wie es auf der Asse-II geschehen ist.

GR: Kann man diese Rissbildung verhindern?

EdB: Verhindern kann man sie nur, wenn man im Salzgestein keine Konvergenzbewegungen entstehen lässt. Das ist bei einem Produktionsbergwerk nicht zielführend, aber bei einem Endlager, mit der Möglichkeit der Rückholbarkeit, unerlässlich.

GR: Die Ergebnisse Deiner Arbeit scheinen auch für den Laien plausibel. Trotz ihrer Brisanz sind sie damals aber ignoriert worden.

EdB: Damals kam es nach meinen ersten Ergebnissen zu einem Meinungsaustausch mit dem Werkschef der Asse-2. Er hatte kein Interesse an Gesteinsmechanik, denn in seinen Augen war das Bergwerk ja sicher. Ich wundere mich, dass ich nicht vor den Untersuchungsausschuss zur Asse geladen wurde, denn meine Arbeit ist eine von zwei kritischen, die überhaupt über die Zukunft der Stabilität der Asse geschrieben wurden. Und ich habe schon 1979 an der Sicherheit gezweifelt, wurde aber ignoriert. Bis heute wird ein Lernprozess nicht beachtet. Wer früher glaubte, dass die Erde eine Scheibe ist, der zweifelte auch nicht daran. So ist das auch bei den Fachleuten, die glauben, dass sie keine Fehler machen.

GR: Auch für Gorleben spielen die beschriebenen Konvergenz-Vorgänge ja eine entscheidende Rolle was die Standsicherheit angeht.

EdB: Es gibt in Gorleben diese Risse, weil es auch hier Konvergenzbewegungen gibt. Die sind aber momentan kein Problem. Auch nicht in 40 Jahren. Aber wir reden doch über rückholbare Endlagerung von Atommüll, der für eine heute unbekannte, beziehungsweise unendliche Anzahl an Jahren dort gelagert werden soll. Ich fordere die Betreiber auf, die Volumenmenge zu berechnen, die durch Konvergenz im Laufe der Zeit im Bergwerk Gorleben zugeströmt sind. Diese setzt sich zusammen aus der Profiländerung der Strecken und dem nachträglich entfernten Salz. Wenn übertage keine Senkungen und unterhalb des Bergwerks keine erhöhten Salzströmungen messbar sind, muss der Bergwerkbetreiber hierüber Verantwortung ablegen mittels einer Erklärung, wo dieses Salz herkommt. Den Gorleben-Betreibern sollte meine Diplomarbeit bekannt sein, doch offenbar werden auch da immer nur die Zusammenfassungen gelesen und nicht die eigentliche Theorie. In der Zusammenfassungen steht nämlich nur etwas über die Verfüllung der Asse-2.

GR: Warum wird in der Asse nicht mit einer Bergung des Atommülls begonnen?

EdB: Die haben wohl Angst vor der Frage: Nun ist der Müll über Tage – und nun? Auf jeden Fall sollte man mit dem am einfachsten zu bergenden mittelaktiven Müll anfangen. Hier kann man Erfahrung sammeln und gleichzeitig die größte Gefahrenquelle für unsere Umwelt beseitigen. Eins muss uns allen aber klar sein: wenn in Gorleben die Castoren nicht eingelagert werden, dann könnte der Müll aus der Asse hierher kommen.

GR: Vielen Dank für das Gespräch.

Quelle: Jan Becker / contrAtom, aus: Gorleben Rundschau Ausgabe Sept. 2012