Temelin: Sachliche Erörterung oder weiter nur 70er-Jahre AKW-Propaganda?

Am heutigen Freitag findet im tschechischen Budweis das Anhörungsverfahren für alle Einwender aus Tschechien, Polen, Slowakei, Österreich und Deutschland zum Neubau zweier Atomkraftwerke am Standort Temelín statt. Das Umweltinstitut München wird teilnehmen und seine grundlegende und umfassende Kritik am Projekt und am vorgelegten Gutachten vortragen.

Wir fordern eine sachliche Erörterung und nicht, wie vergangene Woche in Passau, eine reine Verkaufsschau für noch nicht existierende Atomreaktortypen und das völlige Ignorieren der Erfahrungen aus den Atomkatastrophen in Tschernobyl und Fukushima.

„Solange nicht klar ist, welcher Reaktortyp gebaut werden soll, kann eine abschließende Bewertung der Auswirkungen nicht erfolgen“, kritisiert Christina Hacker, Vorstand im Umweltinstitut München. „Keine der in Frage stehenden Reaktorvarianten ist irgendwo auf der Welt in Betrieb und von daher existieren keinerlei Erfahrungswerte“, ergänzt Hacker.

Es würden zwar Anforderungen an die Reaktoren gestellt, ob diese aber von den Reaktorbauern erfüllt werden können, weiß niemand und kann erst recht niemand garantieren.

Ebenso abenteuerlich ist die Behauptung der Antragsteller, dass bei einem GAU nur im Umkreis von 800 Metern Sofortmaßnahmen, wie z.B. Jodprophylaxe und Evakuierung, erforderlich seien und bereits in einer Entfernung von mehr als drei Kilometern keinerlei Notfallplanung mehr nötig sei. Erst kürzlich hat eine Studie vom Bundesamt für Strahlenschutz bestätigt, dass sich der Katastrophenschutz nach einem atomaren Unfall auf deutlich weitere Gebiete, als bislang angenommen, auswirken kann. Fukushima hat gezeigt, dass selbst in 200 km Entfernung noch hohe Strahlenbelastungen auftreten.

Karin Wurzbacher, Physikerin im Umweltinstitut München bemängelt:

„Es ist unverantwortlich, dass die abgebrannten Brennelemente mangels existierendem Entsorgungskonzept über zehn Jahre im Abklingbecken verbleiben sollen. Diese Becken sollen zum Teil im Betriebsgebäude außerhalb des Schutzmantels (Containments) liegen. Damit sind sie gegen Einwirkungen von außen völlig unzureichend geschützt und bergen immense Gefahren, wie Fukushima vor Augen geführt hat.“

Es besteht keine Notwendigkeit, dass Tschechien als zweitgrößter Stromexporteur in Europa neue Atomkraftwerke für die Stromversorgung baut. Die Finanzierung des Projekts ist wie die Haftung für länderübergreifende Schäden völlig offen.

„Wer wie Tschechien damit kokettiert, kein Geld für den Ausbau erneuerbarer Energie zu haben, kann auch keine AKWs bauen und schon gar keine Haftung für schwere Unfälle übernehmen“, erklärt Harald Nestler, Vorstand im Umweltinstitut München. „Vor diesem Hintergrund ist es auch nicht nachvollziehbar, dass Tschechien, obwohl angeblich kein Geld für die Förderung erneuerbarer Energien vorhanden ist, sich dafür einsetzt Atomstrom, wie bei uns Sonne und Wind, fördern zu dürfen. Glauben die Tschechen wirklich, dass die deutschen Steuerzahler den Atomausstieg in Deutschland stemmen und gleichzeitig direkt oder indirekt über die EU den Bau von Atomkraftwerken in direkter Nachbarschaft finanzieren?“, so Nestler weiter.

Das Umweltinstitut München fordert eine sachliche Auseinandersetzung und ausreichend Gelegenheit für alle Einwender, ihre Fragen zu erörtern. Es müssen endlich Antworten auf die vielen offenen Fragen gegeben werden und die Katastrophe von Fukushima muss in die Planung einbezogen werden.

Rund 26.000 Einwendungen wurden gegen den Bau der Reaktoren in Temelin eingereicht. Auch contrAtom hat sich beteiligt und zu Protesten aufgerufen.

httpv://www.youtube.com/watch?v=yA2QyzdhI4w

  • Einwendungsfrist verlängert: Protest gegen AKW-Bau in Tschechien möglich
    11. Juni 2012 – In Temelín sollen nach Wunsch der tschechischen Regierung neue Atomkraftwerke gebaut werden. Zwei neue Blöcke möchte der Betreiber CEZ errichten, direkt neben den zwei bereits bestehenden, die für ihre zahlreichen Störfälle bekannt sind und in Deutschland nicht genehmigungsfähig gewesen wären. Die Frist für Einwendungen gegen die Pläne wurde bis zum 18. Juni verlängert. Bis heute haben schon mehr als 18.000 Menschen auf diese Weise protestiert.

Autor: Umweltinstitut Muenchen e.V.; 22.06.2012