Ältestes AKW in Frankreich wieder am Netz

Trotz massiver Sicherheitsbedenken ist das älteste Atomkraftwerk Frankreichs in der Nacht auf Montag wieder hochgefahren worden. Der trinationale Atomschutzverband TRAS, in dem sich deutsche, französische und schweizerische Atomkraftgegner zusammengeschlossen haben, protestierte gegen das unverantwortliche und unangekündigte Wiederanfahren von Block 1.

AKW Fessenheim

AKW Fessenheim an der deutschen Grenze; Karte: maps.google

Wie eine Kraftwerks-Sprecherin am Montag auf Anfrage bestätigte, wurde der Block in der Nacht zum Sonntag wieder angefahren. Anfang Juli hatte die Atomaufsicht grünes Licht für eine Laufzeitverlängerung um weitere zehn Jahre gegeben, zugleich aber eine Reihe von technischen Nachbesserungen gefordert. Offiziell liegt die Entscheidung darüber bei der Pariser Regierung. Der französischen Umweltministerin Nathalie Kosciusko-Morizet zufolge soll der Entschluss erst nach Auswertung der von der EU angeordneten Stresstests fallen. Diese seien Mitte September abgeschlossen worden, die Auswertung werde aber noch bis Ende des Jahres dauern, sagte die Sprecherin des AKW.

„Die französische Atomaufsicht ASN hat einem Weiterbetrieb nur unter Auflagen zugestimmt“, betonte TRAS-Präsident Jürg Stöcklin. Unter anderem habe sie eine Verstärkung der Fundamentplatte und zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen für den Ausfall des Kühlsystems gefordert. Nun sei der Reaktor entgegen dieser Bestimmungen wieder angefahren worden.

Das AKW Fessenheim gilt als besonders pannenanfällig. Der TRAS klagt derzeit in zweiter Instanz vor dem Oberverwaltungsgericht im ostfranzösischen Nancy für die endgültige Schließung des AKW, das direkt am Rhein im deutsch-französisch-schweizerischen Dreiländereck liegt. Der Ruf nach einer Stilllegung wird unter anderem mit dem Erdbebenrisiko im Oberrheingraben begründet. Außerdem verweisen die Gegner auf die Gefahr eines Dammbruchs am Rheinkanal, an dem das AKW liegt. In diesem Fall könnte nach ihrer Überzeugung wie in Fukushima das Kühlsystem ausfallen.

Seit der Katastrophe im japanischen AKW Fukushima schlossen sich zahlreiche deutsche, schweizerische und elsässische Gemeinden dieser Forderung an. Im Elsass verlangten zudem rund 400 Regionalpolitiker in einem offenen Brief an Staatschef Nicolas Sarkozy, das „veraltete“ Kraftwerk zu schließen. Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat kürzlich bei einem politischen Gespräch in Paris das umstrittene Atomkraftwerk im elsässischen Fessenheim angesprochen. Er verlangte, dass für den Stresstest die gleichen Massstäbe gelten sollten, wie für die Reaktoren in Deutschland. Die grün-rote Landesregierung hatte bereits gefordert, dass der störanfällige Altmeiler stillgelegt wird.

  • Seit den 70er Jahren wird energisch gegen die Betriebsgenehmigung Fessenheims gekämpft. Zahlreiche Resolutionen von elsässischen Gemeinderäten haben immerhin bewirkt, dass die Genehmigung für den Betrieb Block eins an Auflagen geknüpft wurde.

Bis Ende 2011 will die französische Atomaufsicht zur Sicherheit der 58 Atomreaktoren im Land Stellung nehmen. In Fessenheim wird der inzwischen vom Kraftwerksbetreiber EdF abgeschlossene erste Teil des Stresstestes von Atomkraftgegnern massiv kritisiert. Teil zwei soll erst in der zweiten Novemberhälfte folgen. Trotzdem sei der Meiler nun angefahren worden. Die 7.000 Seiten Evaluierungen aller Reaktoren im Land zur Erdbebensicherheit, Überschwemmungsgefahr und Stromversorgung im Ernstfall – davon allein knapp 400 Seiten zu Fessenheim – erinnern laut Kritikern mehr an eine Selbstvergewisserung als an die erhoffte kritische Kontrolle.

Das die Ergebnisse nach Fukushima anzuzweifeln sind, belegt ein Beispiel: EdF geht davon aus, dass selbst nach einer Kernschmelze das Reaktorgebäude ein bis drei Tage den Kräften standhalten kann und der Austritt von Radioaktivität weit unterhalb der Werte von Fukushima liegt. Der Betreiber rechnet damit, dass die Sockelplatte in Block eins nach der geplanten Verstärkung bei einer Kernschmelze nicht viel länger als zwei Tage durchhalten wird. Viele Experten bezweifeln allerdings, dass diese Verstärkung je stattfinden wird. Sie sei schwer vorzunehmen, so die Kritik, zudem sehr teuer.

Der Straßburger Atomphysiker und Atomkraftgegner Jean-Marie Brom kritisiert, dass es sich bei dem ersten Teil des Berichts um einen Neuaufguss alter Prüfberichte handle. Sogar beim Thema Überschwemmungsschutz habe sich der Betreiber nicht um neue Erkenntnisse bemüht. Die Vorkehrungen gegen einen Bruch der Dämme zum angrenzenden Grand Canal in Fessenheim halte er weiterhin für ausreichend. Das ist deshalb besonders erstaunlich, weil erst im vergangenen Sommer eine unabhängige Studie im Auftrag der Überwachungskommission gerade dies bezweifelt hatte.

Auch der deutsche Energiebetreiber EnBW ist an dem alten Kraftwerk beteiligt. Die EnBW beteiligte sich an den Betriebs- und Investitionskosten und erhielt im Gegenzug 17,5 % der Stromproduktion. Im Jahr 2000 verkaufte die damalige schwarz-gelbe Landesregierung für 2,4 Mrd. Euro ihre EnBW-Anteile an die EDF, 2010 erwarb der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus diese für 4,7 Mrd. zurück. Mit ca. 45 % ist das Land Baden-Württemberg größter Anteilseigner der EnBW. Die baden-württembergischen Grünen haben nun angekündigt, sich die Prüfberichte genauer anzuschauen.

Atomkraftgegner fordern die rot-grüne Regierung in Stuttgart auf, auf die französische Regierung einzuwirken:

„Es darf nicht sein, dass direkt an der deutschen Grenze ein Uraltmeiler steht, der nachweislich unsicherer ist als alle noch in Betrieb befindlichen Meiler in Deutschland. Bei einem schweren Unfall gehört Deutschland zu den ersten Betroffenen. Diese Gefahr ist nicht hinzunehmen. Fessenheim muss sofort stillgelegt werden“, fordert Jan Becker von contrAtom.

Block 1 von Fessenheim wurde 1977 in Betrieb genommen und ist damit der älteste noch in Betrieb befindliche Druckwasserreaktor in Frankreich. Er wurde von Oktober 2009 bis März 2010 einer Sicherheitsprüfung unterzogen. Für den um ein Jahr jüngeren Block 2 strebt der französische Stromkonzern EDF ebenfalls eine Verlängerung der Laufzeit um zehn Jahre an. Dieser Block wird derzeit auf seine Sicherheit hin überprüft. Über einen möglichen Weiterbetrieb soll im kommenden Jahr entschieden werden.

  • 25.000 Menschen bei Anti-Atom-Protesten in Frankreich
    16. Oktober 2011 – Der Atomausstieg in Frankreich nimmt an Fahrt auf: 25.000 Menschen haben gestern gegen den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke protestiert. Die Mehrheit der Franzosen ist nach Fukushima für das Ende der Nuklearenergie, von der Frankreich zu fast 80% abhängig ist.
  • Frankreich: Gericht entscheidet über Weiterbetrieb des Meilers Fessenheim
    9. März 2011 – Das Verwaltungsgericht in Straßburg entscheidet heute über die Klage des Trinationalen Atomschutzverband (TRAS) zur Schliessung des französischen Atomkraftwerk Fessenheim. Der grenznahe Meiler ist nicht ausreichend gegen Erdbeben geschützt. Die Chancen auf Erfolg – und damit das sofortige Abschalten des Meilers – sind aber eher gering.

Quelle (Auszug): nachrichten.at, badische-zeitung.de, stimme.de; 08.11.2011