Schwachradioaktiver Atommüll landet in alten Bergwerken und auf Deponien

Alle reden von Schacht Konrad, wenn es um den Abbau von Atomkraftwerke geht, denn dabei fallen bekanntlich erhebliche Mengen schwach-radioaktiver Stoffe an. Diese sollen im ehemaligen Erzbergwerk bei Salzgitter unter die Erde gebracht werden – dessen Inbetriebnahme wegen Sicherheitsbedenken aber seit Jahren blockiert wird. Doch tatsächlich landen schon heute große Mengen radiaoktives Material „freigemessen“ auf Hausmülldeponien oder in Untertagedeponien.

Im März 2011 wurde bekannt, dass in der Untertagedeponie Heilbronn 82 Fässer (20 Tonnen) Reststoffe eingelagert wurden, deren Inhalt „teils schwach radioaktiv“ war. Dieser Abfall war „aus dem Atomrecht entlassen“, die Strahlenbelastung lag also unterhalb der Grenzwerte, die die Strahlenschutzverordnung festlegt. Nach aktuellen Informationen des BUND beträgt diese Menge aber mehr als hundertmal soviel, als bislang vom Betreiber der Deponie, die Südwestdeutschen Salzwerke AG, zugegeben wurde. Rund 2.300 Tonnen dieser „aus dem Atomrecht entlassenen“ Stoffe befänden sich derzeit im Bergwerk. Dazu gehören Bauschutt, Metalle, Textilien aus den Atomkraftwerken Biblis, Gundremmingen und Philippsburg.

Auch im Salzbergwerk Bad Friedrichshall-Kochendorf wurden laut BUND über 100.000 Tonnen Bauschutt und Aushubmaterial aus dem Hanauer Brennelementewerk der Nukem GmbH beziehungsweise der Siemens AG eingelagert. In das Bergwerk Kochendorf sind seit 27. Mai 1998 insgesamt 295 000 Tonnen Schlacke, Bauschutt und Aushub gebracht worden. Es handelt sich dabei auch um „freigegebene Abfälle aus strahlenschutzrechtlicher Überwachung“, heißt es in einem Papier einer Tochterfirma der Salzwerke.

  • Dieses „aus dem Atomrecht entlassen“ nennt sich beim Abbau von Atomkraftwerken „freimessen“ und ist gängige Praxis, um die Menge an speziell und damit teuer zu entsorgenden radioaktiven Abfällen stark zu reduzieren. So werden Materialien solange verdünnt, bis die Strahlung insgesamt gering genug ist.

Aus dem AKW Stade und dem Abbau der Reaktoren in Greifswald wurden große Mengen dieses „freigemessenen“ Materials auf konventionelle Deponien gebracht. Sieben Jahre lang sind seit der Stilllegung 2003 Abfälle aus dem AKW Stade in die Nähe von Schneverdingen gekarrt worden. Insgesamt handelt es sich um 103 Tonnen, 2.000 waren noch geplant – nach Anwohner-Protesten, die Angst vor Strahlung hatten, wurden die Einlagerungen gestoppt. Auf der Deponie Ihlenberg bei Schönberg in Mecklenburg-Vorpommern landeten tausende Tonnen AKW-Schrott. Seit 1996 sind dort rund 15.000 Tonnen “freigemessener” Schrott aus dem Atomkraftwerk Lubmin bei Greifswald eingelagert worden.

Die Deponien und Bergwerke sind damit faktisch keine Atommülldeponien, dafür bedürfte es auch umfangreiche Genehmigungsverfahren – wie für Schacht Konrad, das immer teuer wird und sich verzögert. Zu Recht, denn eine Langzeitsicherheit ist nicht gegeben. Und die Garantie, dass der radioaktive Müll für viele Jahrzehnte nicht mit dem Menschen in Kontakt kommen kann, ist die wichtigste Grundlage für ein Atommüllendlager.

Nach den Protesten sollen auch die Einlagerungen in die Untertagedeponie Heilbronn beendet werden. So lautet zumindest eine Absichtserklärung von Stadt und Salzwerken. So wurde angeblich auch das Vorhaben aufgegeben, in den nächsten drei Jahren 450 Tonnen Abfälle aus dem Atomkraftwerk Philippsburg einzulagern.

Atomkraftgegner warnen vor einem Verzicht auf größtmögliche Sicherheit, auch wenn durch die Stilllegung von acht weiteren AKW in Deutschland nach dem Atomausstieg das Problem der Entsorgung von Abfällen drängt. Durch eine Änderung der Strahlenschutzverordnung war das „Freimessen“ in großem Stil erst möglich geworden.

„Es darf nicht sein, dass auf Kosten der Gesundheit der Bevölkerung den Atomkonzernen durch das ‚Freimessen‘ eine billige Atommüllentsorgung zugestanden wird. Nach dem Stand von Wissenschaft müssen Grenzwerte eher nach unten korrigiert werden – um Leben zu schützen!“

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Quellen: ndr.de, swr.de, stimme.de, swp.de; 26./27.01.2012