30 Jahre AKW Grafenrheinfeld

Heute vor 30 Jahren begann der Betrieb des bayrischen Atomkraftwerks Grafenrheinfeld. Noch weitere 4 Jahre soll der Reaktor laufen – und wird als erster der neun nach dem deutschen Atomausstieg verbleibenden Meiler abgeschaltet. Die Liste an Kritikpunkten ist lang – Atomkraftgegner fordern daher die sofortige Abschaltung.

AKW Grafenrheinfeld

AKW Grafenrheinfeld

Das Atomkraftwerk Grafenrheinfeld liegt südlich von Schweinfurt beim unterfränkischen Grafenrheinfeld am linken Mainufer. Im 8km entfernten Schweinfurt leben 53.000 Menschen, in 28km Entfernung liegt Würzburg mit 134.000 Einwohnern. Im 30km-Radius um das AKW leben 481.000 Menschen, etwa 3 Millionen im 80km-Umfeld.

Baubeginn war 1974 durch die Bayernwerk AG, die Inbetriebnahme erfolgte am 9. Dezember 1981. Es handelt sich um einen Druckwasserreaktor der dritten Generation („Vor-Konvoi“-Anlage) mit einer elektrischen Bruttoleistung von 1.345 Megawatt. Das Kraftwerk besitzt zwei weithin sichtbare Kühltürme mit einer Höhe von jeweils 143 Metern. Ein am Standort neu erbautes Zwischenlager für abgebrannte Brennelemente ging am 1. März 2006 in Betrieb. Voraussichtlich 2015 wird der Meiler stillgelegt.

Erst am Jahresanfang war das AKW in den Schlagzeilen: Während der Revision 2010 (die vom März 2010 bis Juni 2010 dauerte) wurde ein „Thermoschutzrohr“ im Rahmen einer wiederkehrenden Prüfung untersucht. Dabei wurde mit einer Ultraschallprüfung das Rohr, das den Hauptkühlkreislauf mit dem Druckbehälter verbindet, von außen, ohne dass es ausgebaut wurde, auf seinen Zustand überprüft. Das betreffende Bauteil wurde zuletzt 2001 untersucht, schon damals gab es einen kleinen Befund, der aber unterhalb der Registrieschwelle lag. Bei der Untersuchung 2010 war der Riss größer. Die Materialschwächung war „betrieblich entstanden und gewachsen“, hieß es in einem internen Papier. Die Schadensursache sei nicht eindeutig geklärt, gehe aber über die übliche Langzeitermüdung hinaus. Deshalb müssten „die Prüfergebnisse (in Grafenrheinfeld) sicherheitsgerichtet so interpretiert werden, dass es sich um einen betrieblich entstandenen und gewachsenen Fehler“ handelt. Betreiber E.ON zweifelte jedoch an dem Messergebnis und erklärte die Wandstärke-Messungen am Rohr mit „Unklarheit“. Ein Austausch sollte ein Jahr später erfolgen. Gemeldet wurde dieses Ereignis den Aufsichtbehörden auch erst im Dezember 2010, obwohl es in einem schweizer AKW vergleichbare Probleme gegeben hatte, die zum Austausch des Bauteils geführt hatten. Umweltschützer und Opposition sprachen von einem Tabubruch, denn trotz Sicherheitsmängeln wurde der Reaktor weiterbetrieben. Bis zu einer Lageklärung erwirkte das Bundesumweltministerium keine Abschaltung aus Vorsicht, sondern verliess sich auf die Bewertung des Betreibers. Die Reaktorsicherheitskommission (RSK) empfahl Röttgen, auch die anderen Atomkraftwerke auf derartige Befunde zu prüfen. Denn ein Bruch der betroffenen Leitung würde unweigerlich zu einem schweren Kühlmittelaustritt führen. „Das Kernkraftwerk war zu jedem Zeitpunkt sicher“, so die bayrische Atomaufsicht. Atomkraftgegner unterstellen Aufsicht und Betreiber eine „beschönigende“ Zusammenarbeit, die sich nicht an Sicherheit sondern Ökonomie orientiert.

Störfälle in AKW seit Betriebsbeginn, Stand: 09.12.2011

Störfälle in AKW seit Betriebsbeginn, Stand: 09.12.2011

Rang 2 in der Störfallstatistik

Seit der Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes gab es bis heute insgesamt 223 Zwischenfälle, die nach der Strahlenschutzverordnung als meldepflichtige Ereignisse galten. Im Durchschnitt also 7.43 Störfälle pro Jahr bzw. alle 49 Tage ein meldepflichtiges Ereignis. Grafenrheinfeld liegt damit auf Platz 2 der noch betriebenen AKW in Deutschland. Zuletzt musste Ende Oktober ein defektes Relais in der Ansteuerung eines Regelventils ausgetauscht werden.

Am 30. September 2010 kam es kurz nach 6 Uhr zu einer Schnellabschaltung der Anlage aufgrund einer Störung in der Eigenbedarfsversorgung. Reaktorschnellabschaltungen (RESA) beanspruchen alle beteiligten Komponenten auf das äußerste, da es sich um eine „Notbremse“ des Reaktors handelt, bei der innerhalb kürzester Zeit sehr große Energiemengen kompensiert werden müssen.

In der Nacht vom 2. April zum 3. April 2002 kam es wegen eines defekten Elektro-Bauteils zu einer Schnellabschaltung. Dieselaggregate sprangen an und übernahmen die Stromversorgung in allen vier Redundanzen. Bei der Not-Abschaltung der Anlage kam es zur Unterbrechung der Stromlieferung in das Netz. Der Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (BBU) in Bonn forderte daraufhin eine umfassende Darlegung aller Vorkommnisse in Grafenrheinfeld für die letzten drei Jahre an, um eventuelle weitere, nicht bekanntgegebene Vorkommnisse im Kernkraftwerk aufzudecken. Für die Untersuchung des Störfalles wurde vom Umweltministerium der TÜV Süddeutschland eingeschaltet. Nach dem Zwischenfall und der Wiederherstellung der Eigenbedarfsversorgung wurde der Reaktor nur verzögert und nicht mehr bis auf Volllast hochgefahren, da für eine Woche später, ab dem 8. April, die planmäßige Revision der Anlagevorgesehen war, die planmäßig durchgeführt wurde.

Am 5. Juli 2000 kam es zu einem Brand, der den Motor einer Hauptkühlmittelpumpe in unmittelbarer Nähe des Reaktordruckgefäßes beschädigte.

Am 26. Juni 2000 kam es im Kernkraftwerk zu einem Zwischenfall der Stufe 1 der INES. Bei der jährlichen Revision wurden an fünf von acht Steuerventilen, die ein Jahr zuvor eingebaut worden waren, Mängel festgestellt. Bei der Herstellung der Buchsen war es zu Verunreinigungen und durch Einwirkung der Luftfeuchtigkeit bei einem längeren Anlagenstillstand zur Korrosion an den Buchsen gekommen, was die Leichtgängigkeit der Ventilspindeln beeinträchtigte.

In 1997 wurde bei einer Prüfung eine Leckage an einem Wärmetauscherrohr des nuklearen Zwischenkühlers entdeckt. 1988 brachen an der oberen Gitterplatte des Kerngitters der Brennelemente Zentrierstifte. 1986 wurden lose Verankerungen an fünf Doppelrohren des Hauptkühlmittelsystems  im Bereich des biologischen Schildes gefunden.

Mangelhafte Sicherheit gegen Flugzeugabstürze

Im April 2011 wurde bekannt, dass mindestens vier US-Kampfflugzeuge vom Typ Fairchild-Republic A-10 über dem Kraftwerk einen Luftkampf geübt haben. Der Bürgermeister der anliegenden Gemeinde Schwebheim wandte sich darauf schriftlich an die Bundeskanzlerin, um das Einstellen dieser Übungen zu erreichen, zumal im selben Monat ein solches Flugzeug in der Vulkaneifel abgestürzt ist. Die Flugübungen des US-Militärs in der Nähe des Reaktors fanden im folgenden Monat vermehrt statt. Die Sperrzone des Lufraums über den Kraftwerk beträgt nur 1,5 Kilometer.

Bei einer Überprüfung des Schutzgrades durch die Reaktorsicherheitskommission („Stresstests“) wurde festgestellt, das AKW Grafenrheinfeld habe „keine Auslegung gegen ein mittleres Verkehrsflugzeug.“ Treibstoffbrände wurden für eine Treibstoffmenge von 10 Mg (Militärflugzeug) berücksichtigt, nicht aber für den Absturz eines großen Verkehrsflugzeuges.

Auch hinsichtlich der Erdbebensicherheit konnte Grafenrheinfeld im Vergleich mit anderen AKW nur mäßig abschneiden: Level 1 von 3 wurden im „Stresstest“ der Bundesregierung nach ukushima möglicherweise erfüllt. Die vom Betreiber gemachten Aussagen waren unzureichend, „mögliche Erfüllung des Levels hängt von der Vorlage zusätzlicher Nachweise und deren Bestätigung ab“.

Erhöhte Leukämie

Für den Beobachtungszeitraum von 1983 bis 1998 zeigt die Häufigkeit kindlicher Tumore im Umfeld von Atomkraftwerken in Bayern eine statistisch signifikante Erhöhung von 20 % über dem bayerischen Durchschnitt. Die KIKK-Studie belegt erhöhte Leukämieraten im 5km-Radius um alle AKW in Deutschland. Ein Zusammenhang zwischen den Erkrankungen und der Reaktoren konnte aber nicht erwiesen werden.

Proteste gegen den Weiterbetrieb

Lokaler Widerstand gegen das AKW kam schon ab 1972 auf. 1986 schlossen sich die Initiativen zur Bürgeraktion Umwelt- und Lebensschutz – Bürgerinitiative gegen Atomanlagen (BA-BI) zusammen. Im Zuge der Baugenehmigungen für das Standortzwischenlager gab es mehrere Demonstrationen, auch gegen Castortransporte und die Pläne eines weiteren Reaktors am Standort. Die BA BI untersucht selbsttätig Strahlenbelastung und Krebsfälle in der Region. Im Mai 2003 kam es zu einer großen Protestaktion mit etwa 1.000 Teilnehmern. 2010 verabschiedeten die Städte Schweinfurt und Würzburg sowie die Gemeinden Sennfeld, Gochsheim und Bergrheinfeld Resolutionen, in denen sie eine Abschaltung des Atomkraftwerks forderten.

  • Werden Deutschlands Nuklearanlagen gegen Terrorangriffe geschützt?
    12. September 2011 – Vor zehn Jahren, nach den Anschlägen auf das World-Trade-Center in den USA entbrannte eine Debatte um die Sicherheit der Atomkraftwerke gegenüber Flugzeugabstürzen. Plötzlich war ein bislang als Restrisiko gewertetes Kriterium – der gezielte Terrorangriff auf ein Meiler mit einem Flugzeug – zu einer denkbaren Bedrohung geworden. In zehn Jahren hat sich zur Verbesserung der Sicherheit einiges getan.

Quellen (Auszug): de.wikipedia.org, fr-online.de, greenpeace.de, BA BI; 09.12.2011