Atomkonzerne tricksen bei Stilllegung

Krümmel putzt sich für Abriss raus. Es gibt eine neue Betonfassade für die nächsten 20 Jahre, die der Abbau dauern wird. Doch an tatsächlichen Rückbau denkt in Krümmel noch keiner. Wichtige Kraftwerkskomponenten bleiben im Reaktor, und nach Aussage eines Mitarbeiters ist der Meiler gar nicht stillgelegt. So auch in anderen alten Meilern. Denn die Stilllegung lässt auf sich waren. Atomkonzerne tricksen selbst beim Rückbau.

Wir alle lesen die Mitteilungen der Bundesregierung und der Energiekonzerne und denken, dass nach dem Super-GAU in Fukushima im März acht deutsche Atomkraftwerke für immer abgeschaltet sind. Die ältesten sieben und Krümmel werden wegen massiver Sicherheitsbedenken nie wieder ans Netz gehen. Vor zwei Wochen erreichte uns die Nachricht, dass der bayrische Meiler Isar-1 im „Standby-Betrieb“ läuft. Vergleichbares erzählte ein Mitarbeiter im AKW Krümmel.

  • Es scheint, als warten die Atomkonzerne nur auf ein politisches Signal, ihre Meiler wieder anfahren zu dürfen.

Der Abriss aller deutschen Atomkraftwerke wird die Betreiber immense Summen Kosten. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Arthur D. Little bis zu 18 Milliarden Euro. Und eigentlich wollten die Konzerne mit ihren „Gelddruckmaschinen“ noch viele Jahre Millionen machen. Keiner der vier Konzerne EnBW, E.ON, RWE oder Vattenfall macht bislang Angaben zu genauen Zahlen oder legt einen Zeitplan für den Rückbau vor. Allein RWE wird ein wenig konkret: In den nächsten Monaten werde der Konzern festlegen, in welchem Zeitraum die Meiler in Biblis abgerissen werden, „bis Ende des Jahres oder spätestens Anfang kommenden Jahres“ hoffe man auf eine Entscheidung. E.ON hat sich noch nicht entschieden, wie er bei seinen kürzlich stillgelegten Meilern Unterweser und Isar 1 vorgeht. Zur Debatte stehen grundsätzlich zwei Möglichkeiten: der schnelle Rückbau – oder ein Einbetonieren für 20 bis 30 Jahre, der sog. „sichere Einschluss“. Während dieser Zeit soll möglichst viel Radioaktivität abklingen.

Die Konzerne spielen auf jeden Fall auf Zeit. Gemäß einer interne Vereinbarung der Energiekonzerne werden erst die noch laufenden AKW mit Castor-Behältern zur Einlagerung von Brennelementen versorgt, und dann die abgeschalteten. Die Behälter werden dringend benötigt, um verbrauchten Brennstoff im standort-nahen Zwischenlager einzulagern. Mit der Abschaltung der acht Reaktoren gibt es plötzlich einen großen Bedarf, denn die Reaktorkerne müssen vollständig von Brennstäben befreit werden, um mit dem Abbau beginnen zu können. Dafür braucht es Castoren – und die Produktion bei der einzigen deutschen Herstellerfirma GNS beläuft sich auf 80 Stück pro Jahr. Zu wenig für den aktuellen Bedarf.

Einmal im Jahr müssen ein Viertel der alten Brennelemente ausgetauscht werden, die verbrauchten wandern dann erst zum Abkühlen ins Lagerbecken und dafür Brennstäbe aus dem Lagerbecken in Castorbehältern in das Standortzwischenlager. Bekommen die Betreiberkonzerne wegen fehlender Castoren Platzprobleme, führt das zur Abschaltung des betroffenen Reaktors. „Verstopfungsstrategie“ nannten Atomkraftgegner damals den Widerstand gegen den Abtransport von Brennelementen in die Wiederaufarbeitungsanlagen. Das Ziel war das gleiche: dem Betreiber Lagerplatzprobleme bescheren.

25 Castor-Behälter vom Typ „V/52“ sind aktuell allein in Krümmel nötig, um alle Brennelemente aus dem komplett beladenen Reaktorkern und dem Lagerbecken zu räumen. Ähnliche Kapazitäten benötigen auch die anderen sieben stillgelegten Atommeiler. Da die Produktionsanforderungen für die Hochsicherheitsbehälter streng sind, lässt sich die Herstellungszahl nicht einfach erweitern. Immerhin sollen die Behälter massiven Unfällen standhalten, wobei keine Radioaktivität nach außen dringen darf. Laut Vattenfall ist wegen der Castor-Problematik nicht absehbar, wann in Krümmel mit dem tatsächlichen Rückbau begonnen werden kann.

Es gibt aber noch ein weiteres Problem, was den Rückbau erheblich verzögern kann: Die Genehmigung für den Betrieb des Standortzwischenlagers in Krümmel sieht vor, dass Arbeiten an den inneren Primärdeckeln der Castorbehälter, also direkt an den verstrahlten Brennstäben, nur innerhalb des Reaktorgebäudes durchgeführt werden dürfen. Die Gebäude sollen bei Austritt von Radioaktivität eine Barriere zur Umwelt bilden. Wir aber der Reaktor zurückgebaut, kann vor Ort kein Castor mehr geöffnet werden. Und das könnte bei einem Dichtheitsproblem nötig werden. Genehmigt ist das Zwischenlager für 40 Jahre.

  • Es gibt also zwei Möglichkeiten: bis zum Ende der Castor-Lagerzeit, was auch den Abtransport in ein Endlager bedeuten kann, das Reaktorgebäude und alle Barrieresysteme intakt halten – oder an allen Standorten mit Zwischenlagern eine Möglichkeit schaffen, Castorbehälter zu reparieren. In Gorleben wurde dafür die „Pilot-Konditionierungsanlage“ gebaut, die etliche Millionen Euro gekostet hat.

Bis es eine Lösung gibt, bleiben die hochradioaktiven Brennstäbe im Lagerbecken der Reaktoren. „Dort sind sie sicher“, betont eine Vattenfall-Mitarbeiterin. Doch das diese Aussage nicht zutrifft, hat uns der GAU von Reaktorblock 4 in Fukushima gezeigt. In Siedewasserreaktoren der „Baureihe 69“, zu der Brunsbüttel, Philippsburg-1, Krümmel und Isar-1 gehören, liegen die Lagerbecken für Brennelemente zwar innerhalb der Ummantelung des Reaktorgebäudes aber außerhalb der dicken Betonhülle um den Reaktor. Ein Sicherheitsrisiko zum Beispiel bei einem Flugzeugabsturz.

„Wir fordern die Reaktorlagerbecken sofort zu räumen, um das Risiko, was von den Siedewasserreaktoren auch nach ihrer Abschaltung ausgeht, zu mindern“, so Jan Becker von contrAtom. Es besteht aber ein zusätzliches Dilemma, denn auch die Castorbehälter und Sicherheitskonzepte der Zwischenlager versprechen laut Kritikern keine 100%tige Sicherheit. „Die Barrieren Castorbehälter und Zwischenlager sind aber besser, als die unsicheren Lagerbehälter in den Reaktorgebäuden. Das Spielen auf Zeit erhöht die Sicherheit nicht!“

  • Risiko: Brennelemente in Abklingbecken
    17. April 2011 – Grundsätzlich müssen alle verbrauchten Brennelemente nach dem Ausbau aus dem Reaktorkern für mindestens ein Jahr unter Wasser mit aktiver Kühlung lagern, um ihre Temperatur auf höchstens 400 Grad zu senken. Diese erste Zwischenlagerung erfolgt direkt am Reaktor in Abklingbecken, die mit borhaltigem Wasser gefüllt sind. Je nach Reaktortyp sind diese Nasslager stärker oder weniger stark gesichert.
  • 18 Milliarden Euro Abrisskosten für Atomkraftwerke
    28. September 2011 – Laut einer Studie wird der Abriss der 17 letzten Atomkraftwerke in Deutschland für die Energiekonzerne richtig teuer: mehr als 18 Milliarden Euro müssen dafür eingeplant werden. Atomkraftgegner bemängeln, dass die Kosten für eine Endlagerung gar nicht berechnet werden können und fordern das endgültiges Aus des vermeintlich “günstigen” Stroms.

  • Anwohner haben Angst vor AKW-Schutt
    27. Oktober 2011  – E.ON als Betreiber des Rückbaus ist stolz darauf: nur ein kleiner Teil des Abrissmaterials des Atomkraftwerks Stade muss als radioaktiver Müll entsorgt werden. Ein Großteil kann auf Hausmülldeponien entsorgt werden. Eine davon liegt bei Schneverdingen – die Anwohner schlagen Alarm, denn der Schutt ist radioaktiv.

Quellen (Auszug): landeszeitung.de, www.bergedorfer-zeitung.de, dpa; 31.10.2011