Warum wir weiter gegen Atomkraft protestieren und warum die Formen des Protestes sich verändert haben?

Warum wir weiter gegen Atomkraft protestieren und warum die Formen des Protestes sich verändert haben? – „Was willst Du eigentlich?“ schimpfen lauthals einige Passanten beim Vorübergehen, als sie mich nach Fukushima weiter in der Stadt protestieren sehen. „Der Ausstieg ist gemacht und die Atomkraftwerke gehen vom Netz!“

Atomanlagen stilllegen!

Atomanlagen stilllegen!

Ich schweige einen Moment, die Passanten gehen weiter und ich denke im Stillen:

Tschernobyl und Fukushima sollte uns Menschen eigentlich lehren, das verfluchte Uran endlich in der Erde zu lassen. Schon lange versuchen weltweit AtomkraftgegnerInnen, ihren Mitmenschen und politisch Verantwortlichen die todbringenden Gefahren dieser teuren, gefährlichen und dreckigen Technologie zu vermitteln. Ja, und es gab immer wieder kleine Erfolge! Die Bewegung war besonders im letzten Jahr so stark wie nie zuvor- heute will Deutschland tatsächlich aussteigen.

Auch ein weiterer großer Schritt scheint gleichwohl vollbracht:

  • Durch die schrecklichen Ereignisse in Fukushima ist einem Großteil der Menschheit derweil klar, dass ein Festhalten an Atomkraft und der Umgang mit Uran uns Menschen krank macht und alles Leben töten kann!

Über dieses späte Verständnis freue ich mich, aber ich protestiere selbstverständlich und unermüdlich weiter, denn:

Sicher – als AtomkraftgegnerInnen gaben wir in der Vergangenheit all unsere Kraft – für ein Umdenken in Sachen Atomtechnologie und natürlich für den schnellsten Ausstieg – die „endgültige, sofortige Stilllegung aller atomaren Anlagen“ gelang uns bisher dennoch nicht! Denn der deutsche Ausstieg z.B. ist an vielen Stellen eine echte Mogelpackung! Zu groß sind die atomaren Verstrickungen und Täuschungsversuche von geldgierigen Lobbyisten und von machthungrigen, korrupten Politikern. Zu hoch sind die Gewinne, die sich mit diesem Teufelszeug auch heute noch weltweit erwirtschaften lassen.

Nach Fukushima fühlen viele Menschen sich in ihren Ängsten bestätigt, fühlen sich von dem Leid Japans betroffen und fühlen sich bedroht, auch hier in Deutschland. Ich glaube, wenn all diese Menschen nun feststellen, dass sich nichts verändert oder sie arg verschaukelt werden, werden sie bei gegebenen Anlass viel stärker sein als je zuvor – und zwar in Ausdruck, Forderung und Masse!

Viele umweltbewegte Menschen fühlen sich heute regelrecht mit dem Rücken an die Wand gedrückt, manchmal hilflos, machtlos oder gar ohnmächtig, aber manchmal auch aufschäumend und einen letzten Anlauf nehmend. Das „Nichthandeln“ und die Verharmlosung des Restrisikos der Regierung gegenüber den Bürgern wird von einem großen Teil der Bevölkerung als „gewalttätiger“ und „illegaler“ Akt angesehen. Nicht nur ich bin schockiert über die aufkommende Hänge­mattenstrategie (träges Verhalten d.h. jemand anderes wird es schon regeln) und die Ignoranz unserer politischen Mandatsträger in Deutschland. Eine ökologische Kehrtwende sieht für mich anders aus.

Alle Welt weiß seit 2011 vom Scheitern der Atomtechnologie zu berichten, aber kaum ein Land traut sich eine wirkliche Kehrtwende mit allen Konsequenzen herbeizuführen. Da kommt Wut auf, weil ein einfacher Stopp-Schrei von einem Großteil unserer Gesellschaft nicht ausreicht – weil wir nicht umhin können festzustellen, dass wir von unseren eigenen StaatsdienerInnen täglich obendrein betrogen und belogen werden, mutmaßlich zu lasten auch der nächsten Generationen.

Genau darum stehe ich z.B. immer noch hier und demonstriere weiter! Aber es gibt diesbezüglich ja noch viel mehr zu sagen:

Als regelrechte Volksbewegung hatten wir vornehmlich die letzten Jahre in Sachen „Antiatom“ so richtig Anlauf genommen – mobilisierten hunderterlei Massenproteste, kilometerlange Menschenketten oder verschickten tonnenweise Protestschreiben – doch die Ausbeute dieses „gemäßigten zivilen Ungehorsams“ bleibt dennoch bescheiden. Beschlossen wurde ein umstrittener Ausstieg mit einem andauernden Restrisiko für uns und unsere Kinder.

Einzig allein auf ’ne Demo gehen reicht vielen bewegten Menschen heute nicht mehr aus, um den bedrohlichen Gefühlen wie Trauer, Wut, Frust und Angst Ausdruck zu verleihen. Die reine Angst und auch ein enormer Frust treiben unterdessen betroffene Menschen dazu, in ihren Protestformen immer vehementer und ungeduldiger zu werden. Die reale Bedrohung durch Fukushima bestimmt fortan ihr Handeln und sollte eigentlich für alle Verantwortlichen ein deutliches Zeichen sein.

Dabei gilt es gerade jetzt wachsam und aktiv zu sein, ich denke gerade heute kann es vielmehr um die intensive Aufklärung sehr komplizierter Sachverhalte gehen:

Denn erst jetzt kommen wir bestenfalls an die unangenehmen Themen, wie z.B. die Gefahren der Endlagerung, die globale/regionale radioaktive Verstrahlung oder die unbeirrt fortlaufenden Tätigkeiten beim Abbau, der Anreicherung und dem Transport von Uran, sowie der Weiterbetrieb der gefährlichen Brennstoffproduktion.

All dies sind Themen, die meines Erachtens, sehr viel schwerer zu vermitteln und zu verstehen sind, als das bloße Stilllegen eines AKWs oder das Rückbesinnen auf Regenerative Energien.

Denn die Prozesse des Abbaus, der Anreicherung und der Produktion sind kompliziert und geschehen in aller Regel im Verborgenen und ohne großes Medieninteresse. Fakt ist, in Deutschland dürfen heute über die Hälfte der AKWs weiterlaufen. Selbst bei den außer Betrieb genommenen Reaktoren bleibt unklar, wie dauerhaft diese Abschaltung sein wird. Ein heimliches Weiterleben nach dem „Abschalten“ – ermogelt sich die Atomindustrie durch Einstieg in den wohl wenig harmloseren „Standbybetrieb“ – sie warten nur geduldig bis sich der Wind legt, siehe die „Standbyaktivitäten“ bei Krümmel. An anderen Stellen wird das lukrative Atomgeschäft munter weiterverfolgt z.B. trotz attestierter Sicherheitsmängel soll eine Nutzung als Kaltreserve möglich sein, deutsche Hermes-Bürgschaften sichern rund um den Globus Investitionen in verschiedene riskante Atomprojekte und der Ausbau der Gronauer Urananreicherungsanlage wird klammheimlich fortgesetzt. Jegliche Atommülltransporte wie z.B. der Castor sind demzufolge abzulehnen, solange in Atomkraftwerken, Atomforschungseinrichtungen, Uranminen, Urananreicherungsanlagen und Brennelementefabriken weiter neuer Atommüll produziert wird. Die Atommülltransporte dienen nur einem Zweck: Atomanlagen weiter betreiben zu können und eine Lösung der Atommüllproblematik vorzugaukeln.

Und noch ein Gedanke wächst in mir:

Leute, die über die Presse ja eigentlich wissen, was in Japan los ist, die wie alle das tägliche atomare Grauen sehen, aber dann doch nicht wirklich sehen wollen und aus purer Gedankenlosigkeit und bereitwilliger Selbsttäuschung einfach weiter so leben, wie sie es schon immer getan haben, machen einen derart gefährlichen Umgang mit Risikotechnologien erst möglich. Als unverhältnismäßig, zwanghaft und überspannt werden aktuelle Protest Aktionen vielleicht nur von den Menschen angesehen, die sich dem Thema eher oberflächlich widmen oder es schaffen ihre Betroffenheit zu verbergen oder gänzlich zu vermeiden. Eine Gesellschaft, die solch eine derartige Bedrohung gegen ihre eigene Bevölkerung zulässt, steht natürlich irgendwann in der berechtigen Kritik jeder jüngeren Generation – in Frage steht damit logischerweise auch unser politisches System, das solch eine Entwicklung überhaupt zulässt.

Natürlich habe ich bei meinem öffentlichen Protest auch eine Vision für die Zukunft:

  • Die alte Forderung indigener Völker nach: Das Uran muss in der Erde bleiben! – Aufzuklären gibt es bis dahin sicher noch sehr viel!

Gedanken zum Protest von Dirk Werner (Sprecher von www.lagatom.de)