TÜV-Prognose: Castoren können rollen

Geht es nach den Berechnungen des TÜV Nord, dann können die nächsten elf Castoren aus La Hague Ende November ins atomare Zwischenlager Gorleben rollen. Im Auftrag des Niedersächsischen Umweltministeriums (NMU) hat der TÜV die seit Wochen umstrittenen Strahlenmesswerte am Zwischenlager mit einem „aufwändigen“ Verfahren hochgerechnet, um die Prognosesicherheit zu erhöhen, wie hoch die zusätzliche jährliche Strahlendosis am Zwischenlager ausfallen könnte. Atomkraftgegner werfen den Betreibern vor, schon seit 2003 die Grenzwerte nicht einhalten zu können und fordern einen Einlagerungsstopp in Gorleben.

  • Mit dem jetzt vorhandenen Inventar dürfte die Jahresdosis bei 0,238 Millisievert liegen. Mit der Einlagerung weiterer elf Castoren könnte dieser Wert auf 0,254 steigen. Der Grenzwert für die Zwischenlager-Genehmigung liegt bei 0,3 Millisievert.

Mit den Berechnungen des TÜV sei die Prognosesicherheit jetzt erhöht, heißt es aus dem NMU. Einschränkend heißt es allerdings, dass die vom TÜV errechneten Gesamtdosisleistungen mit einer Unsicherheit von etwa zehn Prozent behaftet seien. Damit wäre es selbst nach TÜV-Berechnungen zumindest möglich, dass der sogenannte Eingreifwert von 0,27 Millisievert pro Jahr bereits mit den nächsten elf Castoren überschritten werden könnte. Grundlage für die TÜV-Berechnungen waren offenbar die Messergebnisse der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB). Die hatte mit ihren Berechnungen eine Jahresdosis von derzeit 0,21 Millisievert prognostiziert.

  • Demnach liegen jetzt drei verschiedene Prognosewerte für die aktuelle Dosisstrahlung vor: 0,32 Millisievert vom Niedersächsischen Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN), 0,238 Millisievert vom TÜV und 0,21 Millisievert von der PTB. Der Schnitt aus diesen drei Werten liegt übrigens bei gerundet 0,26. Ein Wert, der bereits ohne die weiteren elf Castoren nur knapp unter dem Eingreifwert von 0,27 Millisievert liegt.

Endgültig entscheiden will das NMU über den nächsten Transport dennoch erst Ende Oktober. Bis dahin solle der TÜV noch die von der Zwischenlager-Betreiberin GNS vorgelegten „Optimierungsvorschläge zur Lagerbelegung“ überprüfen und bewerten.

Laut Jochen Stay von ausgestrahlt würden die Berechnungen des TÜV nicht stimmen können, weil bereits falsche Zahlen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zur Hintergrundstrahung übernommen wurden. Die PTB hatte von den am Zaun von Gorleben gemessenen Werten einen so überzogenen Schätzwert für die natürliche Hintergrundstrahlung abgezogen, dass am Ende als Ergebnis null Gammastrahlung übrigblieb. Selbst die Zwischenlager-Betreiber haben deutlich geringere Werte für die Hintergrundstrahlung angeben. Legt man diese Zahlen den Berechnungen zugrunde, kommt als Ergebnis bisher schon eine Überschreitung der Grenzwerte heraus. Durch die vom TÜV errechnete zusätzliche Strahlung durch die neuen Castoren, wird dieser unzulässige Wert noch einmal übertroffen.

„Immer wieder in der Geschichte der Atomenergie-Nutzung wurden Gefahren von Behörden und Gutachtern so lange herunter gerechnet, bis alles ganz harmlos aussah. Das ging genau so lange gut, bis es gründlich schiefging. Erinnert sei nur an die jahrelangen Unbedenklichkeitserklärungen bezüglich der Atommüll-Lager Asse und Morsleben. Daraus scheinen die zuständigen Stellen nichts gelernt zu haben“, so Stay.

Laut Wolfgang Neumann, Physiker und Strahlenexperte, ist es „unverantwortlich, wenn der Minister sagt, die Castoren können rollen, er wisse keinen Grund, weshalb das nicht der Fall sein dürfte.“ Zwar seien die Strahlenmesswerte, die die Physikalisch-Technische Bundesanstalt am Zwischenlager Gorleben gemessen hat, nicht anzuzweifeln, doch die Art wie das niedersächsische Umweltministerium mit den errechneten Zahlen umgehe, sei erstaunlich. So habe die Behörde den Faktor Messungenauigkeit bei der aktuellen Überprüfung außer Acht gelassen. Zehn Prozent Ungenauigkeit müsse einberechnet werden – eine Größe mit Folgen, so Neumann:

„Da muss man, wenn man konservativ ist, diese Messungenauigkeit ja auf den Wert raufrechnen und wenn ich das tue, dann bin ich schon wieder fast bei einem Eingreifwert aus der Nebenbestimmung acht, der Genehmigung für das Transportbehälterlager und wenn dann jetzt neue Behälter dazu kommen, dann kann es eben leicht passieren, dass ich mindestens den Genehmigungswert von 0,3 Millisievert pro Jahr ausschöpfe, wenn nicht sogar überschreite.“

Neumann kritisiert zudem das grundsätzliche Messverfahren am Zwischenlager Gorleben. Als das Transportbehälterlager 1995 genehmigt wurde, haben sich die Behörden an der Dosisgrenze für den außerbetrieblichen Überwachungsbereich, der in der Strahlenschutzverordnung festgelegt ist, orientiert. Der lag damals bei 1,5 Millisievert, in Relation dazu wurde der so genannte Eingreifwert für Gorleben bei 0,3 Millisievert festgelegt. 2001 wurde der Relevanzwert der Strahlenschutzverordnung herabgesetzt, der Wert für das Zwischenlager in Gorleben blieb jedoch gleich.

„Aus meiner Sicht hätte man, um das Minimierungsgebot der Strahlenschutzverordnung einzuhalten, den Genehmigungswert von 0,3 Millisievert am ungünstigsten Aufpunkt eigentlich absenken müssen. Also, wenn man beim Faktor fünf geblieben wäre, dann hätte der Genehmigungswert auf 0,2 Millisieviert pro Jahr abgesenkt werden müssen. Und diesen Wert überschreitet man schon seit einigen Jahren“, so Neumann.

Kerstin Rudek von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg bringt es auf den Punkt: „Es soll um jeden Preis versucht werden, diesen Castortransport durchzuziehen. Wir sind sehr besorgt, weil es gibt nicht nur die Grenzwertüberschreitungen, es gibt auch noch den Umstand, dass im Umkreis von Gorleben werden wesentlich weniger Mädchen geboren. Das ist ein Frühwarnsystem für radioaktive Schädigung.“

Ende November ist ein weiterer Castortransport in das Zwischenlager geplant. Die Polizei befindet sich bereits mitten im Aufbau einer gigantischen Infrastruktur – trotz der Unklarheit über die Messwerte. Atomkraftgegner fordern, die Einlagerungen in Gorleben sofort zu stoppen. In den kommenden Jahren sind weitere Transport angekündigt. Diese könnten dann vermutlich nur durch eine Veränderung der Betreibserlaubnis der Zwischenlagers stattfinden, wobei die Grenzwerte hochgesetzt werden. Die Strahlung aus den Castoren ist schon heute bis in das Dorf Gorleben nachweisbar. Bewusst nehmen die Verantwortlichen gesundheitsrisiken in Kauf. Das ist nicht hinnehmbar – sollten der Castoren kommen, stellen wir uns quer!

  • Castortransport nach Gorleben
    Der Termin steht wohl fest: am 26. November soll ein nächster Castortransport mit elf Atommüllbehältern aus Frankreich den Verladekran Dannenberg erreichen. Am gleichen Tag findet unweit des Krans eine große Protestkundgebung statt. Denn: Das Atommüllproblem ist mit dem Unterstellen in der Zwischenlagerhalle Gorleben keineswegs gelöst, es gibt weltweit kein Endlager für hochradioaktiven Müll. Und der Salzstock in Gorleben ist ungeeignet, Sicherheit für tausende Jahre zu gewährleisten. Schon heute ist die Strahlung aus den Castoren bis nach Gorleben messbar.
  • Castoren strahlen bis ins Dorf Gorleben
    6. Oktober 2011 – “Da die Behälter die radioaktiven Stoffe nachweislich hermetisch einschließen, ist eine Verbreitung radioaktiver Stoffe (…) sicher ausgeschlossen”, schreibt die GNS, Betreiber des Gorlebener Zwischenlagers. Doch bis in das Dorf Gorleben, in dem über 600 Menschen leben, ist die Strahlung nachweisbar.
  • Noch mehr Müll für Gorleben
    5. Oktober 2011 – Die Eignung von Gorleben als Atmmüllendlager ist offiziell überhaupt nicht geklärt. Aber die Atommüllberge, die dort eingelagert werden sollen, wachsen. Schwarz/gelb plant, eine Vierfache Menge Atommüll ins Wendland bringen zu wollen, als bislang geplant. Dabei handelt es sich auch um Abfälle aus der Urananreicherung. Atomkraftgegner sind schockiert und fordern das sofortige Ende der Müllproduktion.

Quellen (Auszug): ejz.de, ausgestrahlt.de, dradio.de; 16.10.2011