Netzagentur erwägt AKW Philippsburg als Reservekraftwerk

Das Atomkraftwerk Philippsburg-1 soll nach Willen der Bundesnetzagentur bis zum Winter 2013 weiterlaufen. Sollte die Landesregierung Baden-Württembergs keine Alternative nennen, würde der alte Meiler als „Kaltreserve“ eingesetzt werden. Atomkraftgegner warnen vor unkalkulierbaren Risiken des Siedewasserreaktors der Baureihe 69.

Matthias Kurth, Präsident der Behörde erklärt in einem Schreiben an die Landesregierung, dass alternativ zu einem Atom-Reservekraftwerk auch der Einsatz fossiler Reservekraftwerke möglich wäre – wie etwa Block 3 des Kohlekraftwerks GKM in Mannheim, was die Landesregierung bereits angeboten habe. Allerdings lägen die Genehmigungen noch nicht vor.

  • Kurth schrieb laut „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, dass er noch bis zum 1. September ein Reservekraftwerk auswählen könne, „bei dem es sich nach Lage der Dinge auch um das Kernkraftwerk Philippsburg 1 handeln kann“. Bis zum kommenden Freitag solle es nun eine Antwort geben. Andernfalls werde er die Voraussetzungen für den Reservebetrieb eines Kernkraftwerks vorsorglich schaffen.

Die Netzagentur und die AKW-Betreiber haben davor gewarnt, dass es nach der Abschaltung von acht der 17 deutschen Atomkraftwerke von E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall insbesondere in Süddeutschland zu Engpässen in der Stromversorgung kommen könnte. Daher könnte ein Altmeiler in den Wintern 2011/2012 und 2012/2013 in Betrieb bleiben, wenn wenig Ökostrom eingespeist wird und der Verbrauch hoch ist. Danach könnten genügend neue Anlagen in Betrieb sein.

Atomkraftgegner warnen vor unkalkulierbaren Risiken: Bei Philippsburg-1 handelt es sich um einen Siedewasserreaktor der Baureihe 69. Alle vergleichbaren Reaktoren wie Krümmel, Brunsbüttel und Isar-1 sind in Deutschland aus Sicherheitsbedenken abgeschaltet worden. Die Umweltschutzorganisation Global 2000 stellt Philippsburg-1 sogar als „Hochrisikoreaktor“ dar.

Störfälle im AKW Philippsburg 1 seit Betriebsbeginn

Störfälle im AKW Philippsburg 1 seit Betriebsbeginn

Hochrisikoreaktor Philippsburg-1

Bei den Siedewasserreaktoren der Baureihe 69 sind die Lagerbecken für verbrauchte Brennstäbe innerhalb des Reaktorgebäudes aber außerhalb des Containments, der Meterdicken betonhülle um den Reaktor, gebaut worden. Damit sind sie bei weitem anfälliger für Störungen. Im japanischen Atomkraftwerk Fukushima Block 4 hatte gerade das Abklingbecken für große Probleme gesorgt und es kam zu massiver radioaktiver Freisetzung. Es besteht laut Reaktorsicherheitskommission „kein nachgewiesener baulicher Schutz“ gegen Flugzeugabstürze.

In den 32 Jahren Betriebszeit seit 1979 haben sich 339 Störfälle ereignet, durchschnittlich 11 im Jahr – also fast jeden Monat ein Ereigniss.

Laut einer Studie des BUND vom März 2011 sind die Sicherheitsmängel in dem alten Atomkraftwerk Philippsburg 1 so gravierend, dass sie auch durch Nachrüstungen nicht behoben werden können.

  • Für die gravierendsten Auslegungsdefizite (Reaktorgebäude, Sicherheitsbehälter, Reaktordruckbehälter, Lagerbecken) sind keine Nachrüstungen denkbar und auch nicht in der Nachrüstliste vorgesehen. Die überfällige Maßnahme zur Verbesserung der Notkühlung ist der höchsten Kategorie zugeordnet, so besteht die Voraussetzung zumindest in gewissen Umfang die Sicherheitsreserven zu erhöhen. Die Umsetzung sollte die Aufsichtsbehörde schnellst möglich fordern. Bei allen anderen Maßnahmen, die geeignet sind, zumindest geringe Verbesserungen der auslegungsbedingten Defizite zu erzielen, kann der Zeithorizont (mittel- und langfristig) problematisch werden. Die Aufsichtsbehörde muss, damit diese in der verbleibenden Betriebszeit durchgeführt werden, deutlich schneller aktiv werden und wesentlich kürzere Fristen setzen als die bisher hierfür üblichen fünf bis zehn Jahre.
  • Obwohl Philippsburg-1 zu den verwundbarsten Reaktoren gehört, ist nicht abzusehen, wann und wie überhaupt der Schutz gegen Flugzeugabsturz verbessert werden könnte. Auch ein potenzielles Versagen des Reaktordruckbehälters würde unweigerlich in einen schweren Unfall münden. Insgesamt ist somit lediglich eine sehr begrenzte Erhöhung des Sicherheitsniveaus zu erwarten, der zudem stark abhängig von dem Agieren der Atomaufsicht ist.

Laut der Studie können selbst Nachrüstungen das Sicherheitsniveau nur unwesentlich erhöhen. Aber gerade weil sich wesentliche Defizite durch Nachrüstungen nicht beheben lassen, müsste im Falle eines Weiterbetriebs zumindest alles versucht werden, um durch technische Nachrüstungen eine Verbesserung hinsichtlich der Beherrschbarkeit und Vermeidung von potenziellen Störfällen zu erreichen. Maßnahmen zur Verbesserung der Betriebsführung, der Kompetenz des Personals und zur Sicherung gegen Terrorangriffe sind die Voraussetzung, um zumindest im Rahmen der technischen Möglichkeiten einen sicheren Betrieb zu gewährleisten. Hinsichtlich eines terroristischen Flugzeugabsturzes sollte vom Betreiber umgehend ein Konzept zur Errichtung einer baulichen Schutzstruktur gefordert werden.

Vor über drei Jahren hatte die Energie Baden-Württemberg (EnBW) die Landesregierung selbst in einem Schreiben über die enormen Sicherheitsmängeln informiert. EnBW-Chef Hans-Peter Villis hält ein Atomkraftwerk als mögliche Reserve für Stromengpässe im Winter für wenig sinnvoll: „Ich rate eigentlich davon ab, das zu machen“, so Villis am 05.07. Er betonte, zur Zeit würde es unter atomaufsichtlichen Gesichtspunkten rund 14 Tagen dauern, bis ein solches Kernkraftwerk wieder Strom liefern könnte. Zudem müssten die kompletten Mannschaften im Einsatz bleiben. „Das verursacht jährliche Kosten, die sicher im zweistelligen Millionenbereich liegen.“

Laut einer von Greenpeace in Auftrag gegebene Kurzstudie des Instituts für ZukunftsEnergieSysteme (IZES) ist das energiewirtschaftlich wenig nachvollziehbar, teuer und gefährlich. Atomkraftwerke sind laut der Untersuchung als sogenannte Kaltreserve wenig geeignet und wurden bislang in der Praxis hierfür auch nicht herangezogen. Geeignete Notreserven für Stromspitzen im kommenden Winter müssten in weniger als 36 Stunden zur Verfügung stehen. Aufgrund der komplizierten Anfahrtstechnik hieße das für ein Atomkraftwerk, dass es voraussichtlich dauerhaft im sogenannten heißen Standby-Betrieb laufen müsste. Damit verbunden sind sehr hohe Kosten und auch zusätzliche Sicherheitsrisiken.

„Kaltreserve-AKW sind der Versuch einer üblen Täuschung!“, so Jan Becker von contrAtom. „Laut der Reaktorsicherheitskommission bestehen in dem Meiler Philippsburg-1 massive Sicherheitsmängel. Mit der Kaltreserve wird das wahre Interesse der schwarz/gelben Regierung deutlich: Profit auf Kosten von Sicherheit! Lässt die Bundesregierung das Wiederanfahren eines alten Meilers zu, betrügt sie ihre eigene Bevölkerung, die mehrheitlich die Stilllegung gefordert hatte. Und das ausgerechnet ein so altes AKW wie Philippsburg-1 wieder ans Netz gehen soll, ist schlicht Wahnsinn.“

Wir fordern die sofortige und endgültige Stilllegung aller AKWs!

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Quellen (Auszug): dpa, reuters; 24.08.2011