Nach „Größenwahn“ kommt „Miniwahn“: Irre Bauvorhaben für neue AKW

Vor Jahrzehnten waren es „Thorium-Hochtemperaturreaktoren“ oder „Schnelle Brüter“, immer größer und technisch komplizierter. Nach deren Scheitern wollen Atomingenieure nun völlig neuen Maßstäbe setzen: Mini-AKW für den Keller, schwimmende Reaktoren oder Unterwasser-Atomkraftwerke. „Aus den Augen – aus dem Sinn“ fürchten Atomkraftgegner und warnen vor neuen Irrsinns-Projekten.

Das Projekt heisst „Flexblue“, und soll wohl das Ansehen des angeschlagenen französischen AKW-Bauers Areva retten. Dank der Debakel um ihre Baustellen für den „Europäischen Druckwasserreaktor“ in Finnland und Frankreich hat das Unternehmen zu kämpfen. Die Erfahrungen für „Flexblue“ stammen vom Militär, nämlich aus Atom-U-Booten und dem nuklear angetriebenen Flugzeugträger Charles De Gaulle. Zwei Jahre hat der französische Marine-Schiffsbaukonzern Direction des Constructions Navales, Systemes et Services (DCNS), der zu 75 Prozent dem Staat Frankreich gehört, im Stillen am Projekt gewerkelt. Nun hat die Firma gemeinsam mit dem Atomkonzern Areva, dem Energiekonzern Electricité de France und der französischen Atomaufsichtsbehörde eine zwei Jahre dauernde Machbarkeitsstudie gestartet: Bereits 2013 soll in Cherbourg eine erste Pilotanlage errichtet werden – und ab 2017 sollen die ersten Unterwasser-Reaktoren produziert werden. Der Unterwasser-Reaktor befindet sich in einem Stahlzylinder der 100 Meter lang und 15 Meter breit ist und etwa 12.000 Tonnen wiegt. Der Reaktor soll eine Leistung zwischen 50 und 250 Megawatt Strom liefern und in Küstennähe in einer Tiefe von rund hundert Metern verankert werden. Sie sind unbemannt und werden von einer an der Küste gelegenen Einsatzzentrale aus gesteuert. Sie können aber laut Hersteller mit Mini-U-Booten jederzeit angesteuert werden. Der Strom wird unterirdisch über Seekabel ins Stromnetz eingespeist.

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Die Kosten für einen solchen Unterwasser-Reaktor werden auf mehrere hundert Millionen Euro geschätzt, deutlich weniger als für den Bau eines grossen AKW an Land, bei denen von mindestens fünf Milliarden Euro ausgegangen werden muss. Auch der Betrieb des Reaktors soll günstiger sein. Die Herstellerfirma möchte in den nächsten 20 Jahren 200 ihrer Reaktoren verkaufen – an Schwellenländer oder an auf Inseln gelegene Staaten.

Was sich wie eine Geschäftsidee anhört, lässt einen bitten Beigeschmack zu: Warum baut ausgerechnet ein Rüstungskonzern ein Mini-AKW? Gibt es ein Interesse für die Kriegsführung an Mini-Reaktoren? Fakt ist, dass bei einem Leck unter Wasser die Strahlung viel leichter verteilt wird. Zudem könne die Anlage anfällig auf Stürme und Meeresströmungen sein, so das französische Netzwerk „Sortir du nucléaire“. Bei DCNS glaubt man an das Gegenteil: selbst Terroristen hätten dank eines Stahlnetzes kaum eine Möglichkeit, den Reaktor zu schädigen und Torpedos würden „frühzeitig unschädlich“ gemacht.

Schwimmende Atomkraftwerke

Russland ist mit der Idee, Atomkraftwerke auf das Wasser zu verlagern schon weiter: Ein erster Prototyp, das AKW „Akademik Lomonossow“, wird seit April 2007 in Sankt Petersburg gebaut. Sieben weitere Anlagen sind geplant. Fünf sollen auf Offshore-Bohrinseln auf den Halbinseln Kola und Jamal zum Einsatz kommen, weitere Anlagen bis 2015 dann Städte im fernen Osten und Sibirien mit Strom und Wärme versorgen. Zwei zum Prototyp modifizierte KLT-40S-Reaktoren befinden sich in einem AKW, das eine Stadt mit 200.000 Einwohnern mit Strom versorgen könne. Jeder Reaktor soll eine Bruttoleistung von 35 MW elektrisch haben und für eine Laufzeit von 40 Jahren ausgelegt sein. Die Reaktoren müssen laut Hersteller erst nach 12–15 Jahren mit neuen Brennelementen bestückt werden. Dafür soll das gesamte Kraftwerk auf eine Werft geschleppt werden.

Im kommenden Jahr will Russland das erste schwimmende Atomkraftwerk der Welt in Betrieb nehmen, so die norwegische Umweltschutzorganisation Bellona. Es soll vor der ostasiatischen Halbinsel Kamtschatka ankern. Dort gibt es aktive Vulkane, es ist besonders erdbeben- und tsunamigefährdet: 1952 wurde hier ein Erdbeben der Magnitude 9.0 gemessen und damit der gleichen Stärke, wie das vor Japan am 11. März. Zudem brauche man den Strom dort garnicht, so Bellona.

Schwimmende Atomkraftwerke hatte Moskau schon in den 1970er-Jahren projektiert, auch die USA verfolgten eine Zeitlang entsprechende Pläne. Doch gescheitert sind diese immer an den exorbitanten Kosten des so erzeugten Stroms. Laut Bellona ist auch jetzt diese Art der Stromerzeugung unwirtschaftlich, selbst wenn man nur Atomkraft zum Vergleich nimmt. Auf Basis offizieller russischer Zahlen berechnet, soll jedes Megawatt installierter Produktionskapazität der „Akademik Lomonosov“ 7,8 Millionen Dollar kosten. Das sind zweieinhalb mal soviel wie beispielsweise beim AKW-Neubauprojekt im finnischen Olkiluoto. Womöglich ziele man aber künftig auch auf andere Einsatzgebiete, beispielsweise die Versorgung von Offshore-Öl- und Gasförderanlagen in der Arktis.

Umweltschützer sehen die Pläne kritisch: Käme es in einer entlegenden Region zu einer Havarie des Reaktors, sei schnelle Hilfe nicht gewährleistet. Der Einsatz in ökologisch sensiblen Regionen wäre zudem eine Katastrophe ungeahnten Ausmass, käme es zu einem Strahlenleck. Im Wasser würde sich die Radioaktivität schnell verbreiten.

Das Mini-AKW für den Keller

Reaktoren die 1.000-Megawattklasse sind im Bau zu kostspielig. Daher basteln führende Unternehmen wie Toshiba und Westinghouse bereits an der praktischen Umsetzung einer wahnwitzigen Idee, die Atomenergie wieder hoffähig zu machen: ein Miniatomkraftwerk für der Vorgarten. Befürworter der Technologie, wie einer der großen Investoren auf diesem Gebiet, Bill Gates, sprechen von einer sicheren und zuverlässigen Art der Energieerzeugung für den kommunalen Gebrauch. Im Gegensatz zu konventionellen Atomkraftwerken seien kaum Infrastruktur für die Inbetriebnahme und auch keine Wartung oder Brennstoffzufuhr notwendig. Mit der amerikanischen Firma Tennessee Valley Authority (TVA) wagte sich der erste Energieversorger an modulare Kleinreaktoren. Die US-Herstellerfirma Babcock & Wilcox verspricht nicht nur niedrigere Baukosten, sondern auch mehr Sicherheit beim Betrieb. Auch Babcock & Wilcox hat seine Erfahrung im Bau von Reaktoren für Kriegsschiffe gesammelt. In den „mPower“-Reaktoren mit einer Leistung von 125 Megawatt soll Containment und Reaktordruckbehälter unter der Erde liegen.

Wie teuer der Strom aus den geplanten Mini-Reaktoren wird, lässt sich allerdings nur schwer abschätzen, die Baukosten sollen bei etwa 25 Millionen Euro pro Anlage liegen, was Experten aber als zu niedrig einschätzen. Auch ist unklar, ob das Containment – der Sicherheitsbehälter um den Reaktorkern – und andere Sicherheitssysteme wirklich so viel einfacher wie versprochen konstruiert werden können. Die kompakten Mini-Meiler haben für Sicherheitsstandards wie Notkühlanlagen keinen Platz. Ungeklärt bleibt auch das Ausmaß der radioaktiven Strahlung, die im Garten des Verbrauchers austreten oder in Wasserquellen gelangen könnte. Ungefähr alle zwei Jahrzehnte muss der Brennstoff ausgetauscht werden, ansonsten nimmt die Energieausbeute ab. Und abgebrannte Brennstäbe sollen dann für 60 Jahre in einem Abklingbecken aufbewahrt werden. Das Thema der Entsorgung bleibt den Betreibern von Mini-Atomkraftwerken nicht erspart, bei geplanten tausenden solcher Anlagen summiert sich der Atommüll entsprechend. Und wer übernimmt die Verantwortung für einen einwandfreien Verlauf der Wartungsarbeiten oder bei etwaigen Störfällen und sonstigen Abläufen? Erfahrungsgemäß spielen menschliches Versagen und Fehlkonstruktionen bei nuklearen Katastrophen eine wichtige Rolle.

Nach dem atomaren Größenwahn folgt jetzt der atomare Miniwahn. Die Atomingenieure sollten endlich erkennen, dass das Kapitel Atomenergie abeschlossen ist und keine Zukunft mehr hat. Schon allein an der Akzeptanz in der Bevölkerung werden solche Projekte scheitern.

Quellen (Auszug): taz.de, 20min.cg, DNCS.com, de.wikipedia.org, heise.de; 04.08.2011