Wendland: „Erkennungsdienstliche Misshandlung” – Atomkraftgegner müssen zur Polizei

Zwei von fünf Atomkraftgegnern, darunter am Ende auch ein Vorstandsmitglied der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI), sind jetzt unwiderruflich aufgefordert, sich zu einer “erkennungsdienstlichen Behandlung” einzufinden. Schon Ende September 2010 erging eine erste Aufforderung an die Fünf. Keiner war je rechtskräftig verurteilt worden, bei einem ist ein Ermittlungsverfahren anhängig.

Trotzdem behauptete die Polizei – sicher mit Blick auf den bevorstehenden Castor-Transport -, dass “aus kriminalistischer Sicht von einer großen Rückfallwahrscheinlichkeit auszugehen ist”. Der Castor-Transport ist vorbei, die polizeiliche Aufforderung aber blieb bestehen.

Die fünf Betroffenen sollten sich ursprünglich in der Polizeikaserne einfinden, um Finger- und Handkantenabdrücke abzugeben sowie sich im Portrait und im Detail “zum Vermessen von Tätowierungen und anderen Körpermerkmalen wie z.B. Narben” fotografieren zu lassen. Nach Intervention eines beauftragten Rechtsanwaltes wurde der Umfang der angeordneten erkennungsdienstlichen Behandlungen nun eingeschränkt auf die Fingerabdrücke und Fotos.

Gegen alle angeordneten Maßnahmen wurde eine Klage beim Verwaltungsgericht Lüneburg eingereicht. Gleichzeitig wurde im Eilverfahren der Sofortvollzug der polizeilichen Maßnahme beklagt. Das Verwaltungsgericht Lüneburg hatte den Antrag in zwei Fällen zurückgewiesen, die Entscheidung über eine Beschwerde des Anwalts hierzu steht noch aus (VG Lüneburg Az 3 B 84/10) – und diese beiden Atomkraftgegner müssen nun in der Polizeikaserne vorstellig werden.

In zwei weiteren Fällen haben die Betroffenen auf Rechtsmittel gegen die Eilentscheidung verzichtet. In allen fünf Fällen laufen die Klagen gegen die Anordnung der Maßnahme weiter. Eine Entscheidung ist noch nicht getroffen.

Die BI und der Ermittlungsausschuss (EA) Wendland sehen in diesen polizeilichen Maßnahmen ein Instrument der politischen Justiz, die es ermöglicht, gegenüber politisch Aktiven Repression auszuüben, ohne dass es zu Gerichtsverfahren kommt. “Die Betroffenen werden als Straftäter stigmatisiert, deshalb lassen wir die Betroffenen nicht allein”, heißt es übereinstimmend beim EA und der BI.

Die Unterstützer treffen sich am 22. Februar um 9.30 Uhr vor der Polizeikaserne Lüchow und begleiten die Atomkraftgegner zur “erkennungsdienstlichen Misshandlung”, wie es der EA formuliert. Die BI: “Der 22. Februar ist der 34. Jahrestag der Standortbenennung: Ein wahrlich interessanter Zirkelschluss – das Festhalten an Gorleben provoziert Proteste, statt einer politischen Lösung kommt jetzt die Vorverurteilung der Atomkraftgegner, einschüchtern lässt sich aber nach 34 Jahren niemand.”

Stellungnahme des Ermittlungsausschuss Gorleben

Alte Vorwürfe – neue Vorladungen: Zur Einschüchterung von fünf Atomkraftgegner_innen durch Vorladungen zur erkennungsdienstlichen Behandlung

Mindestens fünf Atomkraftgegner_innen, darunter ein Vorstandsmitglied der Bürgerinitiative, bekamen Ende September 2010 Post von der Polizeiinspektion Lüneburg/Lüchow. Die beinahe gleichlautenden Schreiben enthielten kurzfristige Vorladungen zu sogenannten “erkennungsdienstlichen Maßnahmen”. Die fünf Betroffenen sollten sich in der ersten Oktoberwoche in der Polizeikaserne Lüchow einfinden, um Finger- und Handkantenabdrücke abzugeben sowie sich im Portrait und im Detail „zum Vermessen von Tätowierungen und anderen Körpermerkmalen wie z.B. Narben“ fotografieren lassen. Aus Protest gegen diese Maßnahme fanden sich am Montag Vormittag vor der Polizeikaserne Lüchow nicht die Betroffenen, sondern etwa 50 Atomkraftgegner_innen ein. Sie solidarisierten sich unter dem Motto „wir sind alle rückfallgefährdet“ mit den Betroffenen.

Die Polizei ordnete zuerst den sofortigen Vollzug und damit die unmittelbare Zwangsvollstreckung dieser Maßnahme an. “Wer sich nicht freiwillig rundum vermessen lässt, wird mit Gewalt von der Polizei mitgenommen” kritisierte der EA Wendland. Erst nach Einschalten eines Rechtsanwaltes sicherte die Polizei zu, die Gerichtsurteile zu den Klagen gegen die Vorladungen abzuwarten.

Nach Intervention des beauftragten Rechtsanwaltes wurde der Umfang der angeordneten erkennungsdienstlichen Behandlungen eingeschränkt. Gegen alle angeordneten ED-Misshandlungen wurde eine Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht. Gleichzeitig wurde im Eilverfahren der Sofortvollzug der polizeilichen Maßnahme beklagt.

In drei Fällen hat das Verwaltungsgericht die Eilanträge zum Aussetzen des Sofortvollzuges abgelehnt, in diesen Fällen ist der Rechtsanwalt in Beschwerde gegangen. Die Entscheidung hierzu steht noch aus. In zwei Fällen haben die Betroffenen auf Rechtsmittel gegen die Eilentscheidung verzichtet.

In allen fünf Fällen laufen die Klagen gegen die Anordnung der Maßnahme weiter. Hier stehen die Entscheidungen noch aus.

Trotzdem hat die Polizeiinspektion neue Ladungen zur ED-Behandlung an einige Betroffene verschickt. Sie sollten am 25. Januar in der Polizeikaserne in Lüchow erscheinen. Dort sind sie nicht erschienen. Sie werden in den nächsten Tagen eine erneute Ladung erhalten.

Anlass der polizeilichen Schreiben waren Ermittlungen wegen „schweren Landfriedensbruchs“ am Pfingstmontag letzten Jahres. Damals am 24. Mai besuchten Atomkraftgegner_innen den Schwarzbau in Gorleben und forderten verbal und kreativ den sofortigen Rückbau des Bergwerkes. Irgendwie waren danach einige Fensterscheiben und ein Laternenmast mit Überwachungskamera nach Betreiberangaben beschädigt. Der Betreiber des Schwarzbaus stellte Strafanzeige wegen Sachbeschädigung, nichtsdestotrotz ermittelte die Polizei auch wegen vermeintlichen Hausfriedensbruchs gegen mindestens 15 Personen.

Mittlerweile sind viele dieser Ermittlungsverfahren eingestellt worden. Auch die Ermittlungen gegen zwei der fünf von den ED-Vorladungen Betroffenen wurden eingestellt. Trotzdem hält die Polizei an der Vorladung zur ED-Behandlung auch dieser Personen fest.

Mit den Vorladungen zur Erkennungsdienstlichen Behandlung steht die „Ermittlungsgruppe Castor“ des polizeilichen Staatsschutzes Lüneburg und Lüchow nicht allein da. Anscheinend hat es in jüngster Zeit in Niedersachsen dazu schlechte Fortbildungen gegeben, jedenfalls sind uns ähnliche Vorgehensweisen auch aus Hannover und Göttingen bekannt. In Hannover war ein vermeintlicher Ladendiebstahl mit Wert von unter 5 Euro der Anlass für eine solche Vorladung. In Göttingen wird seit Wochen ein linker Jugendlicher polizeilich gesucht, weil er angeblich bei einer Demo einen Silvesterknaller geworfen haben soll und ihm auch sonstige Aktivitäten unterstellt werden. Auch hier gibt es – wie bei den Vorwürfen der Betroffenen im Wendland auch – zwar kein Urteil, aber eine verfolgungswillige Polizei und Staatsanwaltschaft. Der Paragraph 81g in der Strafprozessordnung, auf den sich all diese Vorladungen stützen, basiert auf der Unterstellung, dass die/der Betroffene sich „einer Straftat von erheblicher Bedeutung […] verdächtig“ gemacht hat. Die Vorladung zur ED-Behandlung oder wie in Göttingen zur DNA-Entnahme ist damit eine Bestrafung ohne Urteil: Ein Verdacht reicht aus.

Wir sehen in den Ermittlungend der EG Castor und im §81g StPO ein Instrument der politischen Justiz, die es ermöglicht, gegenüber politisch Aktiven Repression auszuüben, gegen die keine handfesten Beweise vorliegen. Die Beispiele zeigen das Missbrauchspotential des §81g StPO: Er dient hier der Einschüchterung politischen Engagements. Und er zeigt, dass Polizei und Staatsanwaltschaft, bereit sind, den Paragraphen auch zur Einschüchterung zu benutzen.

(ea-gorleben.de)