Studie: Schwere AKW-Unfälle wahrscheinlicher als angenommen

Die Wahrscheinlichkeit für schwere Unfälle in einem Atomkraftwerk ist größer ist als bisher angenommen. Atomaufsichten und Wissenschaft gehen bei der Einschätzung des Risikos von mangelhaften Sicherheitsanalysen aus. Eine Studie im Auftrag von Greenpeace deckt erhebliche Mängel in der sogenannten Probabilistischen Risiko-Analyse (PRA) auf.

Die PRA wird unter anderem dazu genutzt, Unfallwahrscheinlichkeiten zu ermitteln. Und die deutschen Atomkraftwerke dürfen nur betrieben werden, weil die Wahrscheinlichkeit für einen schweren Unfall als absolut gering erachtet wird. Grundlage dafür ist die PRA. Das Beraterbüro cervus nuclear consulting unter der Leitung von Dr. Helmut Hirsch hat nun festgestellt, dass die Berechnungen fehlerhaft sind.

So müsste der Zeitabstand zwischen Kernschmelzunfällen laut PRA in Jahrhunderten zu messen sein. Die Realität sieht deutlich anders aus: In den letzten 30 Jahren haben sich fünf Kernschmelzunfälle ereignet: Harrisburgh (1979), Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011 in 3 Reaktoren). Damit ist die PRA für AKW nicht zuverlässig.

Die Greenpeace-Studie zeigt anhand von fünf Beispielen aus westlichen Atomreaktoren, u.a. die Wasserstoffexplosion im AKW Brunsbüttel 2001, wie das atomare Risiko in der PRA systematisch unterschätzt wird. Mehrfachausfälle von Sicherheitssystemen und Altersvorgänge in einem Atomkraftwerk werden beispielsweise nur unzureichend berücksichtigt. Terror- und Sabotagehandlungen können mathematisch nicht in der PRA erfasst werden – obwohl die Gefahr real ist.

Ebenso wird komplexes menschliches Fehlverhalten weitgehend ausgeblendet. Schaut man aber den schweren Reaktorunfall in Fukushima an, so zeigt sich, dass gerade das Versagen von Betreiber und Aufsichtsbehörde entscheidend war. Ein ähnliches Bild ergibt sich in Tschernobyl: Auch dort waren menschliche Fehler mitverantwortlich für das Unglück.

Einige der wichtigsten Faktoren, die in einer PRA nicht bzw. nicht ausreichend berücksichtigt werden können, wurden in den Fallstudien der vorliegenden Studie herausgearbeitet. Dabei handelt es sich um:

  • Unerwartete Belastungen durch interne Vorgänge
  • Schlechte Sicherheitskultur
  • Gemeinsam verursachte Ausfälle
  • Probleme an der Schnittstelle von Anlagen- und Bautechnik
  • Unvorhergesehene Einwirkungen von außen

Alle Fallstudien beziehen sich auf Ereignisse, die sich in den letzten Jahren abgespielt haben (2001 – 2009) – also lange nachdem die Lehren aus den Unfällen von Three Mile Island (1979) und Tschernobyl (1986) gezogen und umgesetzt wurden. Zwei der Ereignisse sind in deutschen Atomkraftwerken eingetreten, je eines in einem Kernkraftwerk in Frankreich, Schweden und den USA.

  • Die tatsächliche Häufigkeit schwerer Unfälle ist zweifellos erheblich größer als in PRA errechnet, da entscheidende Unfallpfade darin nicht abgebildet werden können.

„Die PRA kann bei einem einzelnen AKW die Sicherheitsmängel aufdecken“, sagt Greenpeace-Experte Heinz Smital. „Die Gefahr, die der Gesellschaft durch Atomkraft droht, ist aber weitaus größer als die Risiken, die die PRA ermittelt.“

Greenpeace fordert daher einen schnelleren Ausstieg aus der Atomkraft bis 2015 in Deutschland. Auch im Ausland muss die Bundesregierung auf ein Ende der Atomkraft dringen.

Quelle (Auszug): greenpeace.de, 29.02.2012