Bayrische Wirtschaft will Atomausstieg verhindern

Das deutsche Atomland No. 1 versucht den Atomausstieg zu verhindern. Jahrzehnte lang nahm Bayern eine Führungsrolle im Atomlobbyismus ein, das erste AKW stand in Bayern – nun fordern Politiker eine Sonderbehandlung bei der Energiewende.

Die bayrische Wirtschaft will von einer künftigen Strompreiserhöhungen im Zusammenhang mit einer beschleunigten Energiewende ausgenommen werden. Bayern würde die Wende nämlich besonders treffen: Während deutschlandweit 28 Prozent des Strombedarfs aus Atomkraft gedeckt werden, sind es im Freistaat 53 Prozent.

Einer Studie zufolge, die im Auftrag der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw) erfolgte, könnte ein völliger Atomausstieg bis 2020 eine Steigerung der Industriestrompreise um knapp 40 Prozent gegenüber 2010 bringen. Dies sei „vollkommen inakzeptabel“, sagte vbw-Hauptgeschäftsführer Bertram Brossardt am Montag. Der Arbeitgeberverband sieht durch einen schnellen Atomausstieg mehr als 100000 Jobs im Freistaat bedroht.

Die Kraftwerke, die bayrischen Atomstrom erzeugen, gingen zwischen 1979 und 1988 ans Netz. Die Weichen in Richtung Atomkraft-Land wurden aber schon viel früher gestellt, im Jahr 1957. Damals löste Hanns Seidel (CSU) als Ministerpräsident die „Viererkoalition“ ab; er kündigte sogleich an, „den Einsatz der Kernenergie zu einem Schwerpunkt“ seiner Arbeit zu machen. Bis dahin war es vor allem die Wasserkraft gewesen, die den Strom für Bayern lieferte. Doch mittlerweile waren die wirtschaftlichsten Talsperren schon gebaut, mit Wasserkraft war der vorauszusehende Energiehunger von Industrie und Haushalten nicht mehr zu decken. Fossile Brennstoffe hat Bayern kaum. Also setzte die Politik auf importiertes Erdöl, Erdgas und eben: Kernenergie.

Vorangetrieben wurde die bayerische Energiepolitik vom bayerischen Wirtschaftsminister, dem Oberpfälzer Otto Schedl, der das Amt von 1957 bis 1970 innehatte. Sein Ziel war es, dafür zu sorgen, dass die Energiekosten in Bayern nicht höher stiegen als im Bundesdurchschnitt, um die Industrie im Land zu halten. Dass die ersten Bundes-Atomminister, Franz-Josef Strauß und Siegfried Balke, von der bayerischen CSU gestellt wurden, gab den bayerischen Atomplänen Rückhalt im Bund. Der wachsende Energieverbrauch schien den Atomkraft-Fans zunächst Recht zu geben: Der Stromverbrauch in Bayern stieg von 16 Milliarden Kilowattstunden (kWh) im Jahr 1960 auf 40 Milliarden kWh im Jahr 1972.

So wurde das erste deutsche Atomkraftwerk in Bayern errichtet und zwar bei Großwelzheim, einem Ortsteil der Gemeinde Karlstein am Main (Landkreis Aschaffenburg). Allerdings benannte man es nach dem Nachbarort in „Versuchskraftwerk Kahl“. Die Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE) ließen es von der AEG von 1958 bis 1961 bauen. Die Bayernwerk AG war noch außen vor. In diesem Versuchskraftwerk sammelte die deutsche Energiewirtschaft erste Erfahrungen mit dem neuen Energieträger.

Sie fanden Eingang beim Bau des ersten deutschen Atom-Großkraftwerks im bayerisch-schwäbischen Gundremmingen mit 250 Megawatt (MW) Leistung. RWE und Bayernwerk ließen es nun gemeinsam von der AEG (mit General Electric) errichten – wobei zwei Drittel der 345 Millionen Mark, die der Bau kostete, von Zuschüssen gedeckt waren. Auch bezuschusste der Staat den Preis des Stromes selbst, sodass er mit Kohlestrom konkurrenzfähig wurde. Beim zweiten bayerischen Atomkraftprojekt, Niederaichbach, war die Firma Siemens treibende Kraft. Niederaichbach war eine Versuchsanlage für einen neuen Reaktortypen, die nur wenige Tage in Betrieb war. In Sichtweite liegt der Standort für die später gebauten Reaktoren Isar I und Isar II.

Beim Atomkraftwerk Grafenrheinfeld in Unterfranken zeigte sich bereits, wie sich Widerstand aus der Bevölkerung auswirken kann. Mit dem Bau war 1974 begonnen worden. Klagen – unter anderem von der Stadt Schweinfurt – verzögerten die Inbetriebnahme bis 1982.

Auf die drei Standorte Niederaichbach/Ohu bei Landshut, Gundremmingen und Grafenrheinfeld konzentrieren sich bis heute die bayerischen Kraftwerke. Pläne für weitere Mailer an anderen Standorten – etwa im niederbayerischen Pleinting – wurden im Jahr 2000 offiziell aufgegeben.

Isar-I ist wohl Geschichte. Nur drei Tage nach dem Super-GAU von Fukushima kündigten Umweltminister Söder die endgültige abschaltung an. Auch Ministerpräsident Horst Seehofer schloss sich der Forderung an. Am15.03.2011 ging der Meiler vom Netz.

Wackersdorf

Mit Ruhm bekleckert hat sich Bayern auch nicht mit der Geschichte um Wackersdorf: Nachdem Pläne zur Errichtung einer Wiederaufarbeitungsanlage in Niedersachsen gescheitert waren, erklärte Bayerns Ministerpräsident Franz Josef Strauß am 3. Dezember 1980 die Bereitschaft der bayerischen Landesregierung, im Freistaat nach einem geeigneten Standort zu suchen. Die WAA Wackersdorf wurde zu einem der politisch umstrittensten Bauprojekte der 1980er Jahre. Nach heftigen Protesten begannen im Dezember 1985 die Bauarbeiten. Sie wurden am 31. Mai 1989 mit dem Eingeständis, dass die WAA nicht durchsetzbar ist und Wiederaufarbeitung im Ausland günstiger, eingestellt.

Heftig umstitten ist auch der Forschungsreaktor in Garching bei München. Hier wird mit hochangereichertem, atomwaffenfähigen Uran hantiert. Kürzlich kam der Reaktor wegen Rost im Innern in die Kritik.

Die bayerischen Reaktoren im Überblick

Kraftwerk ans Netz vom Netz Bruttoleistung
Kahl (Versuchsanlage) 1960 1985 16 MW
Gundremmingen A 1967 1977 250 MW
Großwelzheim 1970 1971 25 MW
Niederaichbach 1973 1974 106 MW
Isar I 1979 2011? 912 MW
Grafenrheinfeld 1982 1.345 MW
Gundremmingen B 1984 1.344 MW
Gundremmingen C 1985 1.344 MW
Isar II 1988 1.475 MW
Forschungsreaktor München II 2004 20 MW
Forschungsreaktor München I („Atomei“) 1957 2000 4 MW

Keine Bereitschaft zur Endlagersuche

In der Frage nach endgültiger Entsorgung des Atommülls blockiert Bayern seit Jahren. In der Debatte um alternative Standortsuche seit dem 26. April 2011 positionieren sich die Minister deutlich: „Es wird keine Endlagersuche in Bayern geben“ (CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt am 30.04.2011).

  • Atomkraftgegner sehen in dieser Situation eigenes Versagen: Wer jahrzehntelang erfolgreich Lobbyarbeit für die Atomkraft macht und eine bundesweite Vorreiterrolle hat im Falle einer Kehrtwende den schwarzen Peter. Selber schuld!
  • Um Glaubwürdigkeit für die Energiewende statt Atomlobbyismus zu beweisen, muss Bayern nun eine Vorreiterrolle in der Standortsuche für ein Endlager einnehmen.

Quellen (Auszug): br-online.de, sueddeutsche.de, 03.05.2011