Krebs um Atomanlagen: britischer Report soll KiKK-Studie widerlegen

Kinder, die in der Nähe von Kernkraftwerken wohnen, erkranken einer britischen Studie zufolge nicht häufiger an einer Leukämie. Der jetzt veröffentlichte Report steht damit im Gegensatz zur deutschen KiKK-Studie, in der die Autoren methodische Schwächen gefunden haben wollen. Die KiKK-Studie habe nicht alle Störgrößen berücksichtigt und der Zusammenhang zwischen Erkrankung und Strahlung sei nicht nachgewiesen. Verfälscht worden sei die Studie auch wegen des Bezugs zur Leukämiehäufung in der Elbmarsch.

In dem 142 Seiten starken Bericht setzt sich die Gruppe um Alex Elliott von der Universität Glasgow über weite Strecken kritisch mit der KiKK-Studie auseinander, um dann eigenen Berechnungen für das Leukämie-Risiko von unter 5-jährigen Kindern vorzustellen. Nach Ansicht von Elliott hat die KiKK-Studie nicht alle Störgrößen (confounding factors) berücksichtigt, die bei Fall-Kontroll-Studien schnell das Ergebnis verfälschen können. So gebe es Korrelationen zwischen der Leukämie und dem sozioökonomischen Status der Kinder (in der Oberschicht häufiger diagnostiziert) und mit der Bevölkerungsdichte, die laut Elliot ein Marker für ein erhöhtes Risiko mit viralen Infektionen sein könnten, die als Leukämie-Auslöser in der Diskussion sind.

Eine weitere Kritik betrifft die Einbeziehung eines Clusters in der Umgebung des Kernkraftwerks Krümmel, für den es nach Ansicht Elliotts andere Erklärungen geben müsse als eine vermehrte Exposition der Bevölkerung mit ionisierender Strahlung. Denn bisher sei nicht erwiesen, dass die Bevölkerung in Krümmel einer höheren Strahlung ausgesetzt sei als in der Nähe anderer Kernkraftwerke.

  • In einer eigenen Analyse kann Elliott kein erhöhtes Risiko von Leukämie-Erkrankungen bei unter 5-jährigen Kindern erkennen, die in der Nähe einer der 13 britischen Nuklearanlagen wohnen.

KiKK-Studie: 120 Prozent Leukämierisiko

Die „Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kernkraftwerken“, besser bekannt unter dem Akronym KiKK, war zu dem Ergebnis gekommen, dass mit zunehmender Wohnortnähe zu einem von 16 Kernkraftwerken in Deutschland das Leukämierisiko von unter 5-jährigen Kindern steigt. Für die 5-km-Zone ermittelte Peter Kaatsch von der Universität Mainz eine Odds Ratio von 2,19, die bei einer unteren Grenze des 95-Prozent-Konfidenzintervall von 1,51 signifikant war (Deutsches Ärzteblatt 2008; 105: 725-32). Auch für die 10-km-Zone war das Risiko signifikant um 33 Prozent erhöht. Die Studie hatte das anspruchsvolle Design einer Fall-Kontrollstudie, das als aussagekräftiger gilt als die reine geografische Suche nach Erkrankungsclustern.

Sellafield-Studie belegt Krebsrisiko bei Kindern

2002 belebte eine Studie britischer Wissenschafter die Diskussion um ein erhöhtes Krebsrisiko für Kinder in der Umgebung der englischen Wiederaufbereitungsanlage Sellafield im Nordwesten Englands neu: Die Experten der Universität Newcastle fanden nach einem Bericht des Wissenschaftsmagazins „New Scientist“ heraus, dass sich das Risiko für Leukämie und für das Non-Hodgkins Lymphom bei Kindern, deren Väter in der Anlage beschäftigt waren, verdoppelt. In der laut „New Scientist“ bisher umfangreichsten Studie zu dem Thema verglichen die Wissenschafter die gesundheitliche Entwicklung von 9.859 Kindern, deren Väter Strahlung bei Sellafield ausgesetzt waren, mit 256.851 anderen Kindern, die zwischen 1950 und 1991 in der Grafschaft Cumbria geboren wurden. Dabei wiesen sie nach, dass Leukämie und Non-Hodgkins Lymphom bei den Sellafield-Kindern zwei Mal so häufig auftraten. In dem Dorf Seascale in unmittelbarer Nähe von Sellafield stiegen die Fälle gar um das 15-Fache an. Das Risiko der Erkrankungen stieg im Verhältnis zu dem Grad der radioaktiven Verseuchung der Väter, hieß es in der Studie.

Ein Zusammenhang zwischen der Beschäftigung in der radioaktiven Umgebung der Anlage und dem Krebsrisiko von Kindern war schon 1990 in einer Studie der Universität Southampton festgestellt worden. Die Hypothese ist seitdem jedoch heftig umstritten.

US-Studie: Leukämierisiko in der Umgebung von Atomanlagen erhöht

Eine US-Studie der Universität von South Carolina belegte 2007, dass mehr Kinder und Jugendliche in der Umgebung von Atomanlagen an Leukämie erkranken als in anderen Regionen. Je nach Altersgruppe ist das Krebsrisiko um bis zu 21 Prozent erhöht. Der genaue Grund für den Zusammenhang zwischen Atomkraftwerken und erhöhter Leukämie-Gefährdung sei bislang aber nicht bekannt, betonten die Forscher. Die Mediziner der Universität von South Carolina werteten in der Metaanalyse insgesamt 17 Studien aus, die zwischen 1984 und 1999 erstellt wurden und 136 Atomanlagen in Nordamerika, Japan, Frankreich, Spanien und Deutschland einschlossen. In der Altersgruppe bis neun Jahre ist demnach das Erkrankungsrisiko je nach Entfernung um 14 bis 21 Prozent erhöht. Das Risiko, an der Krankheit zu sterben, liegt in dieser Gruppe um bis zu 24 Prozent höher als bei Gleichaltrigen, die nicht in der Nähe von Kernkraftwerken leben.

WHO-Direktorin: Keine Strahlung ist ungefährlich

“Es gibt keine ungefährlichen Niedrigwerte radioaktiver Strahlung”, erklärte WHO-Generaldirektorin Margaret Chan am 06. Mai 2011 bei einem kurzfristig anberaumten Treffen mit Mitgliedern der kritischen “Initiative für eine unabhängige WHO”. Chan bezog sich bei ihrer Aussage auf die interne Strahlung radioaktiver Partikel – beispielsweise Jod131, Cäsiums137, Strontium90, Plutonium – die über Nahrungsmittel, Wasser oder Atemluft in den Körper aufgenommen werden und sich in der Schilddrüse, Knochen oder inneren Organen ablagern und dort weiterstrahlen. Diese Partikel sind nach zahlreichen Untersuchungen unabhängiger Wissenschaftler, die seit der Atomkatastrophe von Tschernobyl im April 1986 durchgeführt wurden, verantwortlich für bis zu 95 Prozent aller durch radioaktive Strahlung verursachten Krebsfälle und genetischen Veränderungen. Die WHO hat die interne Strahlung bis heute negiert, und sich in allen Aussagen zu potentiellen Gesundheitsgefahren immer nur auf externe radioaktive Strahlung – etwa durch Vorbeizug einer radioaktiven Wolke – und die diesbezüglichen Messungen nach den Atombombenabwürfen von Hiroshima und Nagasaki im Jahre 1945 bezogen.

Es darf nicht sein

Einigkeit unter Medizinern bestehen darin, dass Leukämie-Erkrankungen bei Kindern durch ionisierende Strahlen ausgelöst werden können und dass die Latenzzeit kurz sein muss. Ein methodischer Mangel aller bisherigen Studien besteht aber darin, dass sich die tatsächliche Dosis, denen die Patienten vor der Erkrankung ausgesetzt waren, nicht rekonstruieren lässt – was wegen Verhinderungspraktiken von zuständigen Stellen in Atomaufsicht, Politik und Anlagenbetreibern auch nicht gewollt ist.

  • Denn das Eingeständnis, dass der „Normalbetrieb“ von Atomkraftwerke Krebs auslöst, wäre ein massiver Verstoss gegen das Grundgesetz Artikel 2.2: Recht auf körperliche Unversehrtheit. Damit müssten alle Atomanlagen sofort stillgelegt werden!
  • Atomanlagen machen krank – je näher, je eher
    Seit Veröffentlichung der Kinderkrebsstudie (KiKK) vor 3 Jahren, die einen Zusammenhang von Erkrnakung und Wohnortnähe zu einer Atomanlage belegt, wurden zwei weitere epidemiologische Studien veröffentlicht. Eine zu Fehlbildungen bei Neugeborenen um Atomkraftwerke und eine zum Geschlechterverhältnis bei der Geburt um bayerische Atomkraftwerke. Beide Studien bestätigen die bei der KiKK-Studie gefundene Abstandsabhängigkeit.
  • Niedrigstrahlung aus Atomkraftwerken im „Normalbetrieb“
    Durch die Kernspaltung entstehen radioaktive Stoffe, die in unterschiedlichem Maße strahlen. Diffusionsfähige radioaktive Spaltgase gelangen nach und nach in den ersten Kühlwasserkreislauf. Durch nicht zu vermeidende Defekte an den Brennstäben treten andere radioaktive Spaltprodukte ebenfalls aus und gelangen bei der regelmäßig notwendigen Reinigung des Kühlwassers und anderen Instandhaltungsarbeiten in die Umwelt. Auch im Kühlmittel selbst entstehen radioaktive Stoffe, die nicht vollständig zurückgehalten werden können. Große bzw. größere Mengen radioaktiver Stoffe gelangen bei einem Störfall in die Umwelt. Es ist den Kraftwerksbetreibern gesetzlich erlaubt, radioaktive Strahlung an die Umwelt abzugeben – die Menge ist durch festgelegte Höchstabgabewerte geregelt.
  • WHO-Chefin: Auch Niedrigstrahlung ist gefährlich
    6. Mai 2011 – Bislang vertrat die WHO immer dieselbe Position wie die IAEA: So genannte “interne radioaktive Strahlung”, im Körper angereichert, sei nicht gefährlich. Damit ist nun Schluss: “Es gibt keine ungefährlichen Niedrigwerte radioaktiver Strahlung”, erklärte WHO-Generaldirektorin Margaret Chan am Mittwoch bei einem kurzfristig anberaumten Treffen mit Mitgliedern der kritischen “Initiative für eine unabhängige WHO”.

Quellen: shortnews.de, sciencev1.orf.at, www.aerzteblatt.de; 10.05.2011