Atomausstieg – Die Wahrheit Teil 3: Alte Meiler sollen als „Kaltreserve“ am Netz bleiben

Deutschland steigt aus. Bis 2022 sollen in einem Stufenplan alle Atomkraftwerke abgeschaltet werden, das erste bereits 2015. Schwarz/gelb feiert das eigene Einknicken im Fortbestand der Atomenergie als Erfolg, rot/grün stimmt mit dem Argument “alternativlos” zu. Doch ein bis zwei alte Meiler sollen gar nicht stillgelegt werden, sondern gemäß des aktuellen Atomgesetzentwurfes noch bis zu zwei Jahren als „Kaltreserve“ vorgehalten werden.

UPDATE 30.08.2011:

  • Kaltreserve-AKW ist vom Tisch!
    30. August 2011 – Auch die Atomkraftwerke Biblis-B und Philippsburg-1 werden wohl endgültig stillgelegt. Die Bundesnetzagentur verzichtet auf die Wiederinbetriebnahme als “Kaltreserve” bis zum Winter 2013, um Stromengpässe auszugleichen. Ein weiterer Erfolg im Kampf gegen die Atomenergie in Deutschland.

Beim aktuellen Ausstiegsszenario hat sich die FDP mit der Forderung durchgesetzt, einen oder zwei der sieben alten Meiler bis 2013 als sogenannte Kaltreserve im Stand-by-Modus zu fahren, um so auf tatsächliche oder behauptete Stromengpässe reagieren zu können:

  • Wenn es im Winter mangels Solar- und Importstrom zu Engpässen kommt, sollen nach dem Willen der Bundesregierung zunächst Gas- oder Kohlekraftwerke zur zusätzlichen Stromproduktion genutzt werden. Reicht das nicht aus, soll eines der sieben ältesten Atomkraftwerke, die nun stillgelegt werden, wieder zur Stromproduktion angefahren werden.
  • Besonders FDP-Chef und Wirtschaftsminister Philipp Rösler macht sich dafür stark. Die Regelung mit dem „Stand By“-AKW ist bis 2013 befristet. Dann soll es endgültig stillgelegt werden. Infrage kommen der EnBW-Meiler Philippsburg I (Baden-Württemberg) und das RWE-Kraftwerk Biblis B (Hessen). Ein solcher Bereitschaftsbetrieb kostet bis zu 50 Millionen Euro jährlich.

Das bedeutet, dass zwei Altmeiler jederzeit wieder angefahren werden können.

Laut einer von Greenpeace in Auftrag gegebene Kurzstudie des Instituts für ZukunftsEnergieSysteme (IZES) ist das energiewirtschaftlich wenig nachvollziehbar, teuer und gefährlich. Atomkraftwerke sind laut der Untersuchung als sogenannte Kaltreserve wenig geeignet und wurden bislang in der Praxis hierfür auch nicht herangezogen. Geeignete Notreserven für Stromspitzen im kommenden Winter müssten in weniger als 36 Stunden zur Verfügung stehen. Aufgrund der komplizierten Anfahrtstechnik hieße das für ein Atomkraftwerk, dass es voraussichtlich dauerhaft im sogenannten heißen Standby-Betrieb laufen müsste. Damit verbunden sind sehr hohe Kosten und auch zusätzliche Sicherheitsrisiken.

Es sind verschiedene Standby-Betriebsarten eines AKW möglich:

  • Cold Shutdown: In diesem Betriebsmodus sind die Regelstäbe vollständig eingefahren, dementsprechend ist die Kettenreaktion gestoppt (AKW ist unterkritisch). Der Druck und die Temperatur werden abgesenkt. Während der Erzeugungsunterbrechung verbleiben die Brennelemente im Reaktor und erzeugen weiterhin Wärme, die über das Kühlsystem mittels Kühlpumpen (ca. 2 MW) abgeleitet werden muss. Die Ingangsetzung dauert in diesem Fall etwa 1-2 Tage.
  • Entladung des Kerns: Zum „Cold Shutdown“ besteht alternativ die Möglichkeit, die Brennelemente aus dem Reaktorbehälter zu entfernen und im Brennelemente-Lagerbecken einzulagern. Die Kühlung des Beckens kann exakt kontrolliert und gesteuert werden. In diesem Fall kann die Ingangsetzung jedoch bis zu 14 Tage dauern.
  • Hot Standby (auch „Nulllast heiß“ oder „heißer Standby“): Im Hot Standby-Modus läuft das Kraftwerk ohne Stromproduktion mit sehr geringer Leistung weiter. Dabei sind die Regelstäbe nicht vollständig eingefahren; die Kettenreaktion ist nicht unterbrochen. Unter diesen Voraussetzungen kann die Volllast bereits wieder nach wenigen Stunden (ca. 2 Stunden) erreicht werden.
  • Ein noch rascheres Anfahren ist möglich, wenn die Anlage den Eigenbedarf abdeckt und der Generator mit dem Netz synchronisiert bleibt. Das Hochfahren auf Volllast kann in diesem Fall in weniger als einer Stunde erfolgen.

Um ein Wiederanfahren innerhalb von 36 Stunden zu gewährleisten ist also kein vollständiges Abfahren eines Reaktors möglich. Wichtigstes Merkmal für ein „Kaltreserve-AKW“ ist auch die Aufrechterhaltung der Betriebsgenehmigung. Es sollen also alte Meiler, die wegen massiver Sicherheitsbedenken nach dem GAU von Fukushima bewusst abgeschaltet wurden, wieder in Betrieb genommen werden.

Biblis-B und Philippsburg-1

Der 1976 erbaute Block Biblis-B ist neben Philippsburg I im Gespräch als “Reserve-Meiler”, um bei möglichen Stromengpässen etwa in Süddeutschland zugeschaltet werden zu können. Biblis-Betreiber RWE kündigte am 17.06. an, Block B werde „nach Abschluss der Revision in der kommenden Woche nicht angefahren“, EnBW als Betreiber von Philippsburg-1 schreibt am 17.06., man werden den Reaktor „für den Zeitraum zwischen dem Ablauf des dreimonatigen Moratoriums und der geplanten zeitnahen Änderung des Atomgesetzes nicht wieder anfahren und ans Netz nehmen.“ – Eine endgültige Stilllegung ist also von Betreiberseite nicht geplant!

Kaltreserve-AKW sind der Versuch einer üblen Täuschung! Laut der Reaktorsicherheitskommission bestehen in den Meilern massive Sicherheitsmängel. Keiner der genannten Reaktoren ist gegen einen Flugzeugabsturz gesichert. Zugunsten von „Versorgungssicherheit“ will schwarz/gelb um eine Stilllegung der Blöcke herumkommen – und sich damit auch die endgültige Wiederinbetriebnahme offen halten. Die „Kaltreserve“ ist ein mieser Trick und nicht glaubwürdig, da es zur Vorsorge für solch kurzzeitige Extremsituatione günstigere und vor allem sicherere Alternativen als ein Atomkraftwerk gibt.

Wir fordern die sieben ältesten Meiler und Krümmel sofort und unwiederruflich stillzulegen!

Quelle (Auszug): greenpeace.de, 24.06.2011