BUND-Studie: Gravierende Sicherheitsmängel in Neckarwestheim-1 und Philippsburg-1

Mit einer neuen Studie zu den Risiken der vier in Baden-Württemberg betriebenen Atomkraftwerke hat der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) seine Forderung nach Stilllegung dieser Anlagen bekräftigt. Die Studie belegt: Die Sicherheitsmängel in den alten Atomkraftwerken Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 sind so gravierend, dass sie auch durch Nachrüstungen nicht behoben werden können!

“Bei den neueren Atomkraftwerken Neckarwestheim 2 und Philippsburg 2, die immerhin auch schon über 20 Jahre alt sind, muss dringend eine aktuelle Sicherheitsanalyse vorgelegt werden. Diese ist dann wiederum die Grundlage für konkrete Nachrüstungen, die dann kurzfristig erfolgen müssen”, so BUND-Landesvorsitzende Dr. Brigitte Dahlbender.

Vor über drei Jahren hatte die Energie Baden-Württemberg (EnBW) die Landesregierung selbst in einem Schreiben über die enormen Sicherheitsmängeln informiert. Entgegen der Behauptung der Landesregierung würden nun nicht nur die sichersten AKWs weiterbetrieben, sondern alle Anlagen. “Obwohl die Landesregierung schon längst von den Sicherheitsdefiziten weiß, tut sie nichts”, sagte Dahlbender: “Es ist ein Skandal: Die Landesregierung schützt die Gewinninteressen der Konzerne, hintergeht die Bürger und setzt die Sicherheit der Bevölkerung aufs Spiel.”

Die Autorin der BUND-Studie, die Physikerin Oda Becker, hat untersucht, welche Sicherheitsnachrüstungen für Verbesserungen der Sicherheitslage in den vier AKW dringend erforderlich wären.

  • Das Fazit: In allen vier Anlagen besteht die Gefahr eines schweren Unfalls. Insbesondere in den älteren Reaktoren Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 führen demnach Konstruktionsmängel und jahrelang ausgebliebene Nachrüstungen zu steigenden Risiken.

“Für wesentliche Konstruktionsmängel der alten Reaktoren wie veraltete Reaktorgebäude, Sicherheitsbehälter, Reaktordruckbehälter und Lagerbecken sind jedoch Nachrüstungen undenkbar”, sagte Oda Becker. “Ein schwerer Störfall kann außerdem eintreten, wenn der Reaktordruckbehälter nicht standhält. Deshalb würden selbst extrem teure Nachrüstungen ihr Sicherheitsniveau nur eingeschränkt verbessern.”

Die “Nachrüstliste” und ihre Schwachpunkte

In Zusammenhang mit den Laufzeitverlängerungen wurden von einer Bund–Länder–Arbeitsgruppe Nachrüstmaßnahmen in einer Liste „Sicherheitstechnische Anforderungen / Maßnahmen zur weiteren Vorsorge gegen Risiken“ zusammengestellt. Die sogenannte „Nachrüstliste“ enthält insgesamt 39 Maßnahmen, die in jedem Fall umzusetzen sind.

Das Problem:

  • Die Liste enthält nur generelle Formulierungen, aus denen nicht erkennbar ist, welche Anlagen jeweils betroffen sind (obwohl die Landesaufsichtbehörden beteiligt waren).
  • Wesentliche Nachrüstungen rangieren in der zweiten Prioritätsstufe, was bedeutet, dass erst nach anlagenspezifischer Prüfung und probabilistischen Analysen entschiedenwerden soll, ob sie überhaupt umgesetzt werden.
  • Für die neueren Anlagen greifen die meisten Maßnahmen nicht, weil ihr Anforderungsniveau zu allgemein und zu niedrig ist.
  • Für die alten Anlagen sind die festgelegten Fristen für die entscheidenden Maßnahmen zu lang.

Nicht abzusehen sei auch, wann und wie der Schutz der Atomkraftwerke gegen Flugzeugabstürze oder mögliche Terroranschläge gewährleistet werden kann. Philippsburg 1 gehöre, was die Terrorrisiken betreffe, zu den verwundbarsten Reaktoren in Deutschland. Oda Becker: “Gerade weil sich entscheidende Defizite der Atomkraftwerke nicht mit Nachrüstungen beheben lassen, muss im Falle eines Weiterbetriebs alles versucht werden, um mit sicherheitstechnischen Verbesserungen zum Beispiel bei Notkühlung und Notstromversorgung potenzielle Störfälle beherrschbarer zu machen.”

Maßnahmen für Neckarwestheim 1

  • Das Kraftwerk Neckarwestheim 1 weist im Vergleich mit neueren Anlagen zahlreiche Schwächen und Mängel auf. Diese wurden in der Ablehnung des BMU zur Übertragung von Elektrizitätsmengen von GKN-2 auf GKN-1 aufgezeigt. Gemäß Nachrüstliste sind für einige der identifizierten Schwachpunkte Maßnahmen zur Behebung vorgesehen. Jedoch haben alle Maßnahmen den Zeithorizont „mittel- und langfristig“ zugeordnet und bisher wurde nicht deutlich, was das bedeutet.
  • Die Folgen: Maßnahmen zu drei dieser Punkte wurden bereits 2007 vom Betreiber EnBW beantragt. Doch auch in diesen Fällen ist offen, wann mit einer Realisierung zu rechnen ist, da diese nun mehr im Rahmen der Umsetzung der Nachrüstliste erfolgen soll. Hinsichtlich des Schutzes gegen Flugzeugabsturz ist nicht abzusehen, wann eine Errichtung von baulichen Strukturen erfolgen könnte, es ist noch nicht einmal abzusehen, wann und ob es ein umsetzbares Konzept geben wird. Insgesamt ist somit allenfalls eine sehr begrenzte Erhöhung des Sicherheitsniveaus zu erwarten.

Maßnahmen für Philippsburg 1

  • Für die gravierendsten Auslegungsdefizite (Reaktorgebäude, Sicherheitsbehälter, Reaktordruckbehälter, Lagerbecken) sind keine Nachrüstungen denkbar und auch nicht in der Nachrüstliste vorgesehen. Die überfällige Maßnahme zur Verbesserung der Notkühlung ist der höchsten Kategorie zugeordnet, so besteht die Voraussetzung zumindest in gewissen Umfang die Sicherheitsreserven zu erhöhen. Die Umsetzung sollte die Aufsichtsbehörde schnellst möglich fordern. Bei allen anderen Maßnahmen, die geeignet sind, zumindest geringe Verbesserungen der auslegungsbedingten Defizite zu erzielen, kann der Zeithorizont (mittel- und langfristig) problematisch werden. Die Aufsichtsbehörde muss, damit diese in der verbleibenden Betriebszeit durchgeführt werden, deutlich schneller aktiv werden und wesentlich kürzere Fristen setzen als die bisher hierfür üblichen fünf bis zehn Jahre
  • Die Situation in Philippsburg: Obwohl Philippsburg-1 zu den verwundbarsten Reaktoren gehört, ist nicht abzusehen, wann und wie überhaupt der Schutz gegen Flugzeugabsturz verbessert werden könnte. Auch ein potenzielles Versagen des Reaktordruckbehälters würde unweigerlich in einen schweren Unfall münden. Insgesamt ist somit lediglich eine sehr begrenzte Erhöhung des Sicherheitsniveaus zu erwarten, der zudem stark abhängig von dem Agieren der Atomaufsicht ist.

Auch die neueren Alt-AKWs Neckarwestheim 2 und Philippsburg 2 haben der BUND-Studie zufolge große Sicherheitsmängel. So zählt Philippsburg 2 mit einem technischen Design aus den 1970er Jahren und großen Problemen beim so genannten Bruchausschluss von zentralen druckführenden Leitungen zu den störanfälligsten Reaktoren. Diese Probleme lassen sich auch durch umfangreiche Nachrüstungen nur teilweise in den Griff bekommen. Beide Reaktoren erfüllen nicht die gesetzlichen Sicherheitsstandards, die seit 1994 gelten.

“Die neue Landesregierung in Baden-Württemberg muss ohne falsche Rücksichten alle Sicherheitsnachrüstungen sowie einen baulichen Schutz gegen Terrorrangriffe bei den neueren Anlagen zügig anordnen, um deren Sicherheit zumindest etwas zu erhöhen. Als Leiterin der Atomaufsicht muss Ministerin Tanja Gönner endlich aktiv werden”, so die BUND-Landesvorsitzende Dahlbender: “Zugleich muss die Bevölkerung umfassend und offensiv über die Sicherheitsmängel der Atomkraftwerke und Nachrüstmaßnahmen informiert werden.”

Mit der Studie hat der BUND der Atomaufsicht einen Handlungsleitfaden vorgelegt. “Die Landesregierung muss als ersten Schritt der EnBW bis Juli 2011 Sicherheitsberichte zu allen vier AKW abverlangen. Darin muss aufgezeigt werden, wie sich der Betreiber die Umsetzung der vom Bundesumweltministerium geforderten Sicherheitsnachrüstungen im Detail vorstellt”, sagte Dahlbender: “Bei allen Meilern sind selbst teure Nachrüstungen keine Sicherheitsgarantien. Die einzige Lösung ist der sofortige Ausstieg aus der Atomenergie und die engagierte Umsetzung der Energiewende.”

Schlussfolgerungen

  • Nachrüstungen können das Sicherheitsniveau in Neckarwestheim-1 und Philippsburg-1 nur unwesentlich erhöhen. Aber gerade weil sich wesentliche Defizite durch Nachrüstungen nicht beheben lassen, müsste im Falle eines Weiterbetriebs zumindest alles versucht werden, um durch technische Nachrüstungen eine Verbesserung hinsichtlich der Beherrschbarkeit und Vermeidung von potenziellen Störfällen zu erreichen.
  • Auch die neueren Anlagen Neckarwestheim-2 und Philippsburg-2 entsprechen bei weitem nicht den Anforderungen, die an neue Reaktoren gestellt werden. Dies ist angesichts der nach derzeitigen Plänen noch langen Betriebszeit ein Problem.
  • Maßnahmen zur Verbesserung der Betriebsführung, der Kompetenz des Personals und zur Sicherung gegen Terrorangriffe sind die Voraussetzung, um zumindest im Rahmen der technischen Möglichkeiten einen sicheren Betrieb zu gewährleisten. Hinsichtlich eines terroristischen Flugzeugabsturzes sollte vom Betreiber umgehend ein Konzept zur Errichtung einer baulichen Schutzstruktur gefordert werden, um insbesondere die älteren Anlagen Philippsburg 1 und Neckarwestheim 1 so schnell wie möglich zu schützen.

Insgesamt sollte die Umsetzung aller vorgesehenen Maßnahmen gefordert werden, auch von jenen die den Zeithorizont mittel- und langfristig sowie die Priorität 2 zugeordnet haben. Nur diese können überhaupt zu einer nennenswerten Veränderung des Sicherheitsniveaus beitragen. Bislang waren die Atomaufsichtsbehörden durch die gesetzlich festgelegten Laufzeitbegrenzungen rechtlich nicht in der Lage, grundlegende konzeptionelle Nachbesserungen der Anlagen zu verlangen. Ob sich dieses jetzt ändert wie vom BMU behauptet, hängt insgesamt davon ab, wie zügig und zielstrebig die Aufsichtsbehörde jetzt agiert bzw. agieren kann. Voraussetzung dafür ist eine erhebliche Aufstockung des Personals der Behörde sowie das Hinzuziehen unabhängiger Gutachterorganisationen.

Quellen: bund.net, Presseerklärung BUND vom 09.03.2011