IPPNW: Neue Katastrophenschutzempfehlungen – Scheinbare Sicherheit, nur auf dem Papier

Die Ärzteorganisation IPPNW kritisiert die von der Strahlenschutzkommission (SSK) vorgelegten neuen Katastrophenschutzrichtlinien, die bei der heute beginnenden Innenministerkonferenz in Bonn beschlossen werden sollen. „Die Ausweitung der Evakuierungszone innerhalb von 24 Std. von 10 auf 20 Kilometer greift aus strahlenmedizinischer Sicht viel zu kurz“, so die ehemalige Vorsitzende der IPPNW, Dr. med. Angelika Claußen. Für die Ärzteorgansation sind die Empfehlungen nichts als ein Papiertiger.

  • In den von der SSK neu geplanten Evakuierungsradien leben hunderttausende Menschen. Die ausführenden Behörden werden damit hoffnungslos überfordert sein.
    Die von der SSK neu empfohlenen Evakuierungsradien sind immer noch zu klein angelegt. Das Bundesamt für Strahlenschutz empfiehlt Zonen von 100–170 km, das Öko-Institut sogar Zonen mit 50 km Breite und 600 km Länge.
  • Die SSK empfiehlt zu hohe Eingreifsrichtwerte für Evakuierung und Zwangsumsiedlung. Nach Empfehlung der SSK erfolgen Evakuierungen erst bei einer Belastung von 100 Millisievert (mSv) innerhalb von 7 Tagen (Fukushima 20 mSv, Tschernobyl 10 mSv). Damit werden im Gegensatz zu Japan und der Ukraine zigtausende Strahlenopfer mehr in Kauf genommen.
  • Die SSK betrachtet nur „akute Strahlenkrankheiten“. Langzeitfolgen wie Krebserkrankungen, Fehlbildungen, Erbgutschäden, Totgeburten, Herzkreislauferkrankungen, Immunabwehrstörungen werden nicht berücksichtigt, obwohl mittlerweile gut erforscht.

Erschreckend für die IPPNW ist ebenfalls, dass die Freisetzung von radioaktiven Partikeln bei einem Super-GAU laut SSK schon nach 50 Std. beendet sein soll. Das ist eine Empfehlung wider besseres Wissen, so der IPPNW-Arzt Reinhold Thiel. Tschernobyl wurde erst nach 11 Tagen unter Kontrolle gebracht, Fukushima erst nach 25 Tagen. In Japan wurden nach Fukushima Gebiete mit einer Belastung von 20 mSv pro Jahr als unbewohnbar erklärt. Selbst diesen Grenzwert sehen viele Strahlenschützer noch als zu gefährlich an. Inzwischen wird auch von der Weltgesundheitsorganisation WHO anerkannt, dass es keinen Schwellenwert gibt, unterhalb dessen Strahlung medizinisch unbedenklich wäre.

Die von der Strahlenschutzkommission empfohlene Ausweitung der Bevorratung von Jodtabletten für Kinder, Jugendliche und Schwangere in einem 100-Kilometer-Umkreis auf das gesamte Bundesgebiet ist laut IPPNW zwar ein Schritt in die richtige Richtung. Aber: nach Auffassung der Ärzteorganisation sollte sie auch für alle Erwachsenen erfolgen. Zudem seien die Jodtabletten nicht zentral zu lagern, sondern nach österreichischem Vorbild jedem Haushalt vorab zur Verfügung zu stellen.

„Die hochdosierten Jodtabletten sollten nämlich schon eingenommen werden, bevor die radioaktive Belastung die Menschen erreicht. Nur dann schützen sie vor Schilddrüsenkrebs “, so IPPNW-Vorstandsmitglied Dr. Dörte Siedentopf. „Für Strahlenkrankheiten nach einem Super-GAU gibt es keine allumfassende Strahlenschutztablette“.

Der einzig wirksame Schutz ist das umgehende Abschalten und die Stilllegung aller Atomkraftwerke sowie die schon begonnene Energiewende.

Quelle: ippnw.de, 11.6.2014