Insider berichtet erneut von Schludereien im AKW Philippsburg

Die Vorwürfe sind einmal mehr brisant: Mitarbeiter des Atomkraftwerks Philippsburg beschuldigen Betreiber EnBW, aus Kostengründen bei Sicherheitsmaßnahmen zu schludern, die Atomaufsicht zu täuschen, Zwischenfälle zu verschweigen. Derartige Anschuldigungen sind nicht neu, der Konzern streitet wie immer alles ab und mauert. Atomkraftgegner fordern, die Anlage sofort stillzulegen! Philippsburg-2 führt auch in diesem Jahr die Störfallstatistik an.

Atomkraftwerk Philippsburg, Bild: mhy design

Atomkraftwerk Philippsburg, Bild: mhy design

Der Brief ist sechs Seiten lang und eng bedruckt. Er stammt vom 7. Dezember 2012 und ist unterzeichnet von einem „besorgten Mitarbeiter“. Die „aktuelle Situation im Kernkraftwerk Philippsburg“ ist „seit geraumer Zeit chaotisch“, zitiert Spiegel Online aus dem Schreiben. Das Motto „Sicherheit vor Wirtschaftlichkeit“ werde derzeit „mit Füßen getreten“, vor allem, seit Block 1 im Mai 2011 endgültig stillgelegt wurde. Seitdem gehe es „nur noch um Fragen, wie können die Kosten des abgeschalteten Blockes gesenkt werden. Welche Systeme können auch ohne Stilllegungsgenehmigung außer Betrieb genommen werden, auf welche Prüfungen kann verzichtet werden, wie kann dies dem Sachverständigen bestmöglich ‚verkauft‘ werden.“

Laut Spiegel Online soll es sich um konkrete Vorfürfe handeln: im November 2012 sei eine wichtige Beckenkühlpumpe, welche die hochradioaktiven Brennelemente kühlt, „durch Fehlverhalten kaputt gefahren“ worden – ohne dass das Ereignis gemeldet worden wäre. Das gleiche gelte auch für einen Zwischenfall Anfang September, damals sei Wasserstoffperoxid bei der Anlieferung ausgetreten. Im Notspeisegebäude seien zudem „großflächig defekte Gebäudefugen“ entdeckt worden, durch die „im Brandfall ein Feuer ungehindert in weitere Räume vordringen“ könnte.

Betreiber EnBW wiegelt ab: „Eine erste Überprüfung der pauschalen Anfeindungen und Unterstellungen hat ergeben, dass diese haltlos sind“, sagte ein EnBW-Sprecher auf Anfrage des Spiegel. Am 2. Oktober habe es einen Zwischenfall mit Wasserstoffperoxid gegeben, dabei seien aber lediglich während der Anlieferung zwei bis drei Liter der Flüssigkeit ausgelaufen und von einer Meldepflicht könne keine Rede sein.

  • EnBW will sich zu den weiteren Vorwürfen in der Öffentlichkeit nicht äußern, sondern alle Fragen dem zuständigen Ministerium in Baden-Württemberg beantworten.

Das Ministerium erklärte unterdessen, man wolle die Anschluldiungen von einem offensichtlichen „Insider“ ernst nehmen. Man werde alle Vorwürfe mit dem Betreiber „zügig, unaufgeregt und sachgerecht“ erörtern und dabei auch der Frage nachgehen, ob die Belegschaft in Philippsburg derzeit wirklich so frustriert und demotiviert sei, wie der Briefeschreiber behauptet. Vom Ausfall der Beckenkühlpumpe sei man informiert gewesen, allerdings habe EnBW dem Ministerium gemeldet, die Pumpe sei „für Wartungsarbeiten außer Betrieb genommen“ worden.

Bereits im Februar 2011 hatte ein Unbekannter auf Missstände in dem Atomkraftwerk hingewiesen, u.a. aus dem Jahr 2009 und 2010. Auch dieses anonyme Schreiben las sich alarmierend: es würden sich die Pannen durch Fehler des Personals häufen. Mal seien Zigtausende Liter Reaktorwasser aus dem Brennelementebecken geflossen, mal habe die Kühlung für Notfälle tagelang nicht zur Verfügung gestanden, mal sei der Sicherheitsbehälter bei laufendem Betrieb über Stunden hinweg geöffnet gewesen.

  • Die Atomaufsicht in Stuttgart sei zwar informiert worden, es sei aber „Geheimhaltung vereinbart” worden, um die 2009 noch geplante Laufzeitverlängerung für die Atommeiler nicht zu gefährden.

Der Betreiber des Atomkraftwerks Philippsburg 2 hatte im Mai 2009 im Zuge der Reparatur einer Löschanlage bei laufendem Reaktor zwei so genannte Gebäudeabschlussarmaturen mehr als zehn Stunden lang geöffnet und zusätzlich von der Stromversorgung getrennt. Ein Verstoß gegen zentrale Sicherheitsgrundsätze – doch die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren im Oktober 2011 ein.

Die Grüne Sylvia Kotting-Uhl hatte am 24. März 2011 bei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe Strafanzeige wegen des Verstoßes gegen die Betriebsgenehmigung bei einem Vorfall im AKW Philippsburg-2 vom 12. Mai 2009 gegen die EnBW gestellt. „Je mehr über die Vorgänge bekannt werde, auf die ein anonymer Informant hingewiesen hatte, umso erschreckendere Wahrheiten kommen ans Licht“, so Kotting-Uhl im März 2012. Bei der Sicherheitskultur des Betreibers, des Gutachters und der ehemaligen baden-württembergischen Atomaufsicht täten sich „zunehmend Abgründe auf“. Seinerzeit sah sich EnBW gezwungen, meldepflichtige Ereignisse zähneknirschend nachzumelden.

Am 15. März 2012 schrieb EnBW, eine „fehlerhafte Annahme bei Bewertungen führt zur Nachmeldung eines Ereignisses in KKP 2 aus dem Januar 2010“. Man habe nach den anonymen Hinweisen den Vorfall erneut untersucht, und sei zu einem anderen Ergebnis gekommen als im Januar 2010. Damals war stand eine Armatur im sogenannten Notspeisesystem im Block 2 (KKP 2) aufgrund von Instandhaltungsarbeiten nicht zur Verfügung. Bei einer Verkettung ungünstiger Umstände hätte es zu einem schwereren Ereignis kommen können.

2008 beschuldigte ein ehemaliger Mitarbeiter eines Betonherstellers den Betreiber des AKW Neckarwestheim, ebenfalls EnBW, beim Bau des Zwischenlagers 2004 etwa 35.000 Kubikmeter minderwertigen Beton verbaut zu haben. Auch dieser Vorwurf wurde bestritten.

atomanlagen stilllegen!2001 waren Füllstände in Flutungsbehältern des Notkühlsystems im AKW Philippsburg-2 unterschritten wurden. Das hätte im Falle der Anforderung zu einem Versagen des Notkühlsystems führen können. Der Betreiber EnBW schaltete den Reaktor Philippsburg-2 aber nicht ab – ein schwerer Verstoss gegen die Sicherheitsbestimmungen. Der Störfall wurde am 10.08.2001 als Sofortmeldung (S) deklariert und in der INES-Skala auf 2 gestuft.

  • Im Jahr 2011 war das AKW Philippsburg-2 mit mindestens 21 meldepflichtigen Ereignissen Spitzenreiter in der der Störfallstatistik. In 2012 wurden bereits mindestens 14 Störfälle gemeldet – auch mehr als in jedem anderen noch in Betrieb befindlichen Meiler in Deutschland. Seit Betriebsbeginn im Jahre 1984 summieren sich die Störälle auf min. 218 – also im Durchschnitt 8 pro Jahr.

Atomkraftgegner fordern nach den neuen Vorwürfen gegen EnBW, dem Betreiber der Atomkraftwerke Philippsburg-2 und Neckarwestheim-2 die Lizenz zu entziehen:

„Die EnBW-Meiler sollen noch zehn Jahre am Netz bleiben, und der Betreiber fällt immer wieder wegen Mangelhafter Sicherheitskultur auf“, so Jan Becker von contrAtom. „Dieser Zustand ist untragbar. Neben der lückenlosen Aufklärung der Anschuldigungen fordern wir die sofortige Stilllegung aller EnBW-Atomanlagen.“

  • Baden-Württemberg: Noch viele Jahre Atomrisiko?
    29. Juni 2012 – Der BUND Baden-Württemberg hat alle wichtigen Fakten gegen den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke Neckarwestheim-2 und Philippsburg-2 zusammengefasst und fordert: Sofort abschalten und atomares Risiko vermindern!
  • Störfall Philippsburg-2
    13. November 2011 – Gestern wurde das Atomkraftwerk Philippsburg-2 störfallbedingt abgeschaltet. Eine defekte Dichtung sorgte für den unplanmäßigen Betriebsstopp. Philippsburg-2 führt mit Abstand die Störfallstatistik der noch laufenden Atomkraftwerke an. Atomkraftgegner fordern die Stilllegung.
  • Staatsanwaltschaft stellt Verfahren wegen Sicherheitsverstössen im AKW Philippsburg-2 ein
    20. Oktober 2011 – Ein Verstoß gegen zentrale Sicherheitsgrundsätze im baden-württembergischen Atomkraftwerk Philippsburg 2 soll ungeahndet bleiben. Das ergibt sich nach Überzeugung der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH) unmittelbar aus der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe zu einem Ermittlungsverfahren gegen den Betreiber des Atomkraftwerks vom 1. September diesen Jahres. Die DUH hatte im April Strafanzeige wegen des Verdachts des illegalen Betriebs einer kerntechnischen Anlage (gemäß § 327 StGB) gestellt.
  • Vor zehn Jahren: Massive Verstöße gegen Sicherheitsbestimmungen im AKW Philippsburg-2
    10. August 2011 – Vor zehn Jahren sind im Atomkraftwerk Philippsburg-2 Füllstände in Flutungsbehältern des Notkühlsystems unterschritten worden. Das hätte im Falle der Anforderung zu einem Versagen des Notkühlsystems führen können. Der Betreiber EnBW schaltete den Reaktor Philippsburg-2 aber nicht ab – ein schwerer Verstoss gegen die Sicherheitsbestimmungen.

Quellen (Auszug): tagesspiegel.de, 08.05.2008; enbw.com, 15.03.2012; stuttgarter-zeitung.de, 03./04.04.2012; spiegel.de, swp.de; 14.12.2012