„Nichts gelernt aus Fukushima“: Der Richtwert für Evakuierungen im Katastrophenschutz ist zu hoch

Das Bundesumweltministerium hat bisher keinerlei Konsequenzen aus einer Studie des Bundesamtes für Strahlenschutz vom Herbst 2011 gezogen, in der die Folgen einer Atomkatastrophe in Deutschland nach Fukushima neu eingeschätzt werden. Das kritisiert heute auf einer Pressekonferenz in Hannover ein Bündnis von Antiatominitiativen der „Regionalkonferenz Grohnde-abschalten“, in der auch Mitglieder der atomkritischen Ärzteorganisation IPPNW mitarbeiten.

Berechnete effektive Dosis für Erwachsene durch externe Strahlung und Inhalation über 30 Tage für potentielle Freisetzungen, Quelle: BfS-Studie

Berechnete effektive Dosis für Erwachsene durch externe Strahlung und Inhalation über 30 Tage für potentielle Freisetzungen, Quelle: BfS-Studie

Die Studie des Bundesamtes für Strahlenschutz belegt, dass der Katastrophenschutz in Deutschland bei einem Super-GAU versagen würde. Die zu erwartende Freisetzung von radioaktiven Stoffen ist viel größer als in den Notfallplänen vorgesehen. Kinder und Schwangere sollten demnach in einem Umkreis von 180 Kilometern Jodtabletten einnehmen. Die derzeitige Planung sieht hierfür maximal 100 Kilometer vor. Zudem wird im Katastrophenschutz bisher nur von einer sehr kurzen Zeitspanne der Freisetzung von Radionukliden ausgegangen, nämlich bis zu 50 Stunden (Abschätzungen der Gesellschaft für Reaktorsicherheit GRS). Lang andauernde Emissionen radioaktiver Spaltprodukte wie bei der Tschernobylkatastrophe (11 Tage) oder in Fukushima (25 Tage) werden nicht berücksichtigt.

Auch der Richtwert für Evakuierungen ist in Deutschland mit 100 mSv viel zu hoch angesetzt. In Japan wurden Evakuierungen bei einem Eingreifsrichtwert von 20 mSv/Jahr durchgeführt. Selbst diesen Wert sehen viele Strahlenschützer noch als zu hoch an.

„Es ist unglaublich und unverantwortlich“, so die IPPNW-Ärztin Dr. med. Angelika Claußen, „dass die Strahlenschutzkommission, die das Bundesumweltministerium in allen Fragen des Strahlenschutzes wissenschaftlich berät, diese Studie auf ihrer Jahrestagung im März 2012 mit keinem Wort erwähnt hat. Man hat aus Fukushima offensichtlich nichts gelernt.“

Das Zugeständnis der Bundesregierung an die Atomindustrie im letzten Jahr, noch neun Atomkraftwerke weiter laufen zu lassen und das letzte erst 2022 abzuschalten, setzt einen funktionierenden Katastrophenschutz voraus.

Dr. Claußen: „Wenn wir Bürgerinnen und Bürger nicht geschützt werden können, dann müssen alle Atomkraftwerke in Deutschland stillgelegt werden, nicht erst 2022, sondern sofort.“

  • Grohnde: “Entsetzen” über Katastrophenschutzplan für Super-GAU
    9. August 2012 – Atomkraftgegner haben den seit Kurzem öffentlich zugänglichen Katastrophenschutzplan des Landkreises Hameln-Pyrmont zum Atomkraftwerk Grohnde durchgearbeitet und sind “entsetzt”. Die Behörden gehen immernoch davon aus, dass eine Evakuierung von 10 Kilometern um das AKW bei einem GAU ausreichen würde.
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    31. Juli 2012 – Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen haben eine Sammeleinwendung gegen den Entwurf des Katastrophenschutzplans zum Atomkraftwerk Grohnde veröffentlicht. So sollen möglichst viele Menschen Einspruch gegen die Pläne einlegen, die bei einem Super-GAU die “Sicherheit” sicherstellen sollen. Atomkraftgegner betonen, dass die Pläne unrealistisch und veraltet sind.
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Quelle: ippnw.de; 15.08.2012