Union und FDP zweifeln an Energiewende und AKW-Laufzeiten

Es hat einige Monate gedauert – nun scheinen die Forderungen nach Laufzeitverlängerungen für die letzten neun Atomkraftwerke in Deutschland zum Greifen nah. Schwarz/gelb fordern trotz Energiewende günstigere Strompreise, für Wirtschaftsminister habe es „oberste Priorität, dass Strom bezahlbar bleibe“. Die Förderung der Erneuerbaren Energien solle dafür überarbeitet werden. Oppositionsparteien wittern einen Atomlobby-Vorstoss – Atomkraftgegner warnen vor einer neuen Debatte.

Umweltminister Altmaier (CDU) spricht von „Versäumnissen“ und vermisst etwa „statistisch messbare“ Fortschritte bei der Umsetzung der Energiewende. Auch warnte er vor „sozialen Verwerfungen“ wegen steigender Strompreise. Wirtschaftsminister Rösler (FDP) fordert Korrekturen bei der Energiewende, falls die Strompreise zu stark steigen sollten. „Wir müssen nachsteuern, wenn Jobs und unsere Wettbewerbsfähigkeit bedroht sein sollten“, sagte der FDP-Vorsitzende der „Bild“-Zeitung. „Ich bekenne mich ausdrücklich zu den Zielen und zum Zeitplan der Energiewende mit dem für das Jahr 2022 festgelegten Atomausstieg“, sagte der FDP-Vorsitzende den Lübecker Nachrichten. Beide äußern Zweifel daran, dass sich alle Ziele der Energiewende erreichen lassen. Als Beispiel nannte Altmaier am Wochenende das Vorhaben, den Stromverbrauch bis zum Jahre 2020 um 10 Prozent zu senken. Hohe Strompreise könnten die Wettbewerbsfähigkeit und damit Arbeitsplätze gefährden, betonte Rösler.

Zur Zeit versuchen aber selbst Wirtschaftspolitiker der Union noch, eine Debatte um die AKWs im Keim zu ersticken. An längere Laufzeiten wolle er nicht denken, sagte Fraktionsvize Michael Fuchs (CDU). Offenbar merkt er, dass die Bevölkerung den GAU von Fukushima noch nicht vergessen hat. Der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Arnold Vaatz, hält hingegen die Energiewende für nicht umsetzbar: Die Verbraucher müssten in den kommenden Jahren mit einer Erhöhung der Strompreise um 30 bis 50 Prozent rechnen. Die Wirtschaft nutzt diese Vorlage prompt: „Die Politik muss mit hoher Priorität die Kosten der Energiewende senken“, fordert der Chef des Industrie- und Handelskammertags, Martin Wansleben. Deutlicher wurde vor einem Monat der Präsident des Wirtschaftsrates der CDU, Kurt Lauk, der eine neue Debatte um die Laufzeiten ankündigte: Es sei möglich, „dass wir in ein oder zwei Jahren dazu kommen müssen, die Frage des Zeithorizonts erneut zu diskutieren“.

Atomanlagen stilllegen!„Die Atomfreunde in CDU und FDP werden jetzt auf jeden Fall Morgenluft wittern und versuchen eine AKW-Laufzeitverlängerung in die Debatte einzuflechten“, sagte Grünen-Fraktionsvize Bärbel Höhn. Man werde sehen, ob Regierungsvertreter hier mitmachten. Auch Thorsten Schäfer-Gümbel, Mitglied im SPD-Vorstand, sagte, es würde ihn nicht wundern, wenn bei Union und FDP demnächst Rufe nach längeren AKW-Laufzeiten laut würden.

Dass die Debatte um billigen Strom aus Atomkraftwerken eine irreführende ist, bringt einmal mehr der Leiter des Umweltbundesamts, Jochen Flasbarth, auf den Punkt: „Ich hatte gehofft, dass diese einseitige Kostenbetrachtung von vorgestern überwunden sei“. Wenn die Umweltkosten einberechnet würden, seien Atom- und Kohlestrom im Vergleich zu den Erneuerbaren Energien viel zu teuer. Die Energieeffizienz müsste in den Mittelpunkt der Massnahmen gestellt werden, es bräuchte etwa strengere Standards für Elektrogeräte in Europa. Auch beim Energieeinsparen „sind wir noch nicht gut genug“, so Flachsbarth.

Atomkraftgegner unterstreichen ihre Forderung nach einem schnellst-möglichen Atomausstieg:

„Wer am bestehenden Ausstiegs-Plan rüttelt, der wird sich die Finger verbrennen!“ warnt Jan Becker von contrAtom. „Wir sehen, dass der Kampf um die Stilllegung jedes einzelne AKW gegen die Atom- und Wirtschaftslobby geführt werden muss – am Ende auf den Straßen und vor den Werkstoren, und nicht in den Parlamenten. Es geht hierbei nicht um vernünftige Argumente und Fakten, sondern um das Durchsetzen von atomaren Machtinteressen. Mit Grafenrheinfeld als nächsten Abschalt-Kandidaten 2015 hat diese Auseinandersetzung bereits begonnen – auf Grundlage von lobbyistischen Lügen und Halbwahrheiten.“

  • Studie: Atomausstieg beeinflusst Strompreise kaum
    3. Juli 2012 – Der Atomausstieg führt nicht notwendigerweise zu höheren Preisen, insbesondere wenn der Stromverbrauch nicht ansteigt. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die Greenpeace beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Auftrag gegeben hat.
  • Studie: Einsparung von 110 Atomkraftwerken einfach möglich
    25. Juni 2012 – In der EU besteht ein enormes Energieeinsparpotential, das insgesamt bis zu 110 Atomkraftwerke ersetzen könnte. Das ergibt eine Studie, die von der Kampagne “Coolproducts” veröffentlicht wurde. Die Klimaschutz-Kampagne wirbt für energieeffiziente Geräte wie Klimaanlagen, Computer, Haushaltsgeräte oder Motoren.
  • Wirtschaftsrat der CDU will Laufzeitverlängerung
    12. Juni 2012 – Ganz unverholen kündigt nun der Wirtschaftsrat der CDU eine neue Debatte um die Laufzeiten der letzten neun Atomkraftwerke in Deutschland an. Es sei möglich, “dass wir in ein oder zwei Jahren dazu kommen müssen, die Frage des Zeithorizonts erneut zu diskutieren”, sagte der Präsident der Vereinigung, Kurt Lauk, am Montag in Berlin. Atomkraftgegner kündigen neue Proteste an: der Kampf um jeden einzelnen Reaktor wird auf der Straße zu führen sein.
  • Entgegen Propaganda: Börsen-Strompreise sinken trotz Atomausstieg weiter
    9. Juni 2012 – Nach der Ankündigung des Atomausstiegs im letzten Jahr sind die Strompreise an der Börse in Deutschland zunächst in die Höhe geschossen. Zur Zeit warnen AKW-Betreiberkonzerne, Experten und Politiker vor einem “Kosten-Tsunami”, der auf die Stromkunden zurollt. Explodieren sollen die Preise – doch an der Börse fallen sie noch immer. Atomkraftgegner warnen vor einer Irreführung der Bevölkerung, denn die Gewinne machen nach wie vor die Stromkonzerne.
  • Ein Jahr Energiewende – Atomlobby bastelt an Comeback
    5. Juni 2012 – Ein Jahr nach dem Beschluss der Bundesregierung zum stufenweisen Atomausstieg bis zum Jahr 2022 ist die Energiewende in Deutschland noch nicht soweit, wie sie sein könnte. Würden alle Politiker an einem Strang ziehen, wäre der Kraftakt, der mit der Reaktorkatastrophe von Fukushima eingeläutet wurde, effektiver und gerechter zu meistern. Aber im Gegenteil basteln Atomlobby und -industrie gemeinsam mit der Politik an einem Comeback der alten Atomkraftwerke.

Quellen (Auszug): otz.de, dpa, focus.de, fr-online.de, spiegel.de; 18.7.2012