Staatsanwaltschaft stellt Verfahren wegen Sicherheitsverstössen im AKW Philippsburg-2 ein

Ein Verstoß gegen zentrale Sicherheitsgrundsätze im baden-württembergischen Atomkraftwerk Philippsburg 2 soll ungeahndet bleiben. Das ergibt sich nach Überzeugung der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH) unmittelbar aus der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe zu einem Ermittlungsverfahren gegen den Betreiber des Atomkraftwerks vom 1. September diesen Jahres. Die DUH hatte im April Strafanzeige wegen des Verdachts des illegalen Betriebs einer kerntechnischen Anlage (gemäß § 327 StGB) gestellt.

Der Betreiber des Atomkraftwerks Philippsburg 2 hatte im Mai 2009 im Zuge der Reparatur einer Löschanlage bei laufendem Reaktor zwei so genannte Gebäudeabschlussarmaturen mehr als zehn Stunden lang geöffnet und zusätzlich von der Stromversorgung getrennt. Die Armaturen sollen im Fall eines Lecks im Reaktorsystem verhindern, dass Radioaktivität aus dem Sicherheitsbehälter des AKW nach außen dringt und die Umgebung verseucht. Der Vorgang war der DUH nur aufgrund eines anonymen Schreibens bekannt geworden, woraufhin die Umweltorganisation die Strafanzeige wegen des Verdachts des illegalen Betriebs einer kerntechnischen Anlage (gemäß § 327 StGB) stellte, um den Vorgang insgesamt aufzuklären. Die Staatsanwaltschaft verfügte eine Einstellung.

„Nach Lektüre der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe sind wir mehr denn je überzeugt, dass der Reaktor in der Nacht vom 12. auf den 13. Mai 2009 mehr als zehn Stunden lang vom Betreiber mit quasi offenem Sicherheitsbehälter gefahren wurde. Wenn so etwas ungeahndet bleibt und Schule macht, rührt das an den Kern der Sicherheitsphilosophie von Atomkraftwerken in Deutschland“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake.

Wolfgang Renneberg vom Bonner Büro für Atomsicherheit kommt in einer Kurzanalyse zu dem Ergebnis, dass die Staatsanwaltschaft bei ihrer Entscheidung „Grundlagen des Anlagenschutzes“ verkannt habe. Mehr als zehn Stunden seien beide Gebäudeabschlussarmaturen bei laufendem Reaktor geöffnet gewesen und hätten in dieser Zeit im Falle eines Störfalls auch nicht kurzfristig abgesperrt werden können. Die Staatsanwaltschaft habe bei ihrer Entscheidung fälschlich Sicherheitsregeln, die beim zufälligen Ausfall einer Komponente des Sicherheitssystems gelten, auf die hier erfolgte bewusste Abschaltung nicht nur eines, sondern sogar zweier „redundanter“ Systeme angewandt.

Mit der Einstellung des Verfahrens wird das Sicherheitskonzept eines Atomkraftwerks ad absurdum geführt. Beängstigender als die Fehleinschätzung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe ist jedoch das Verhalten des TÜV Süd als kerntechnischer Gutachter und des baden-württembergischen Umweltministeriums als Atomaufsichtsbehörde. Beide hätten laut Renneberg mit ihren Stellungnamen zu dem Vorfall die Staatsanwaltschaft erst auf die falsche Spur gelenkt und damit „das bislang geltende Sicherheitskonzept in deutschen Atomkraftwerken grundlegend uminterpretiert“.

Vom neuen baden-württembergischen Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) wird nun erwartet, dass der Sachverhalt auf Grundlage der Stellungnahme des Büros für Atomsicherheit erneut geprüft wird und anschließend bewertet. Im Bereich einer Hochrisikotechnologie dürfe es keine Abstriche bei Fragen der Sicherheit geben. Das gilt ganz besonders für Altreaktoren in ihrer Restlaufzeit.

2001 weiterer Verstoss gegen Sicherheitsbestimmungen

Atomkraftgegner weisen darauf hin, dass bereits vor 10 Jahren massiv gegen Sicherheitsbestimmungen im AKW Philippsburg-2 verstossen wurde. Im Juli 2001 waren Füllstände in Flutungsbehältern des Notkühlsystems unterschritten worden. Das hätte im Falle der Anforderung zu einem Versagen des Notkühlsystems führen können. Der Betreiber EnBW schaltete den Reaktor aber nicht ab – ein schwerer Verstoss gegen die Sicherheitsbestimmungen.

Seit Jahresbeginn haben sich in Philippsburg-2 mindestens 19 Störfälle ereignet, der Meiler führt damit die Statistik mit Abstand an.

„Wir fordern Baden-Württemberg auf, die Zuverlässigkeit des Betreibers EnBW zu überprüfen und die Betriebsgenehmigung für Philippsburg-2 zu entziehen“, so Jan Becker von contrAtom. „Auch die neun verbliebenen AKW sind nicht sicher, produzieren Atommüll und gehören stillgelegt!“

Störfälle in deutschen AKW Januar - Oktober 2011

  • Störfall Philippsburg-2
    11. August 2011 – Nach der Abschaltung des Atomkraftwerk Brokdorf am vergangenen Wochenende macht ein zweites der letzten neun Meiler in Deutschland negative Schlagzeilen: Das AKW Philippsburg-2 musste heute gleich zwei Störfälle melden und befindet sich seit Jahresbeginn mit Abstand auf Rang 1 der Pannenmeiler. Atomkraftgegner fordern, auch die letzten Reaktoren endlich stillzulegen.
  • Vor zehn Jahren: Massive Verstöße gegen Sicherheitsbestimmungen im AKW Philippsburg-2
    10. August 2011 – Vor zehn Jahren sind im Atomkraftwerk Philippsburg-2 Füllstände in Flutungsbehältern des Notkühlsystems unterschritten worden. Das hätte im Falle der Anforderung zu einem Versagen des Notkühlsystems führen können. Der Betreiber EnBW schaltete den Reaktor Philippsburg-2 aber nicht ab – ein schwerer Verstoss gegen die Sicherheitsbestimmungen.
  • Störfallhäufung in Philippsburg 2 – Stoppt das Restrisiko!
    26. April 2011 – Im noch in Betrieb befindlichen Atomkraftwerk Philippsburg-2 häufen sich die Störfälle. Während der Nachbarblock 1 im Rahmen des Fukushima-Moratoriums abgeschaltet werden musste, meldet Betreiber EnBW nun aus dem laufenden Meiler vermehrt meldepflichtige Ereignisse.
  • Gefährlicher Störfall in Biblis-A vertuscht
    10. Mai 2011 – Interne Dokumente aus dem hessischen Atomkraftwerk Biblis A belegen einen gefährlichen Störfall, der nicht gemeldet wurde. Die Dokumente wurden Greenpeace von einem Mitarbeiter des Kraftwerkes zugespielt. Das vorliegende Protokoll beschreibt, wie die innere Reaktordruckbehälter-Dichtung beim Anfahren des Reaktors am 20. Oktober 2010 undicht wurde und zu hohem Druck in der Reaktordruckbehälter-Doppelringdichtung führte.

Quelle (Auszug): duh.de; 19.10.2011