Panzerfaust und Castor: eine fatale Kombination

Immer wieder ist von der Feuer, Stoß- und Sturzfestigkeit der Castoren zu lesen, mit denen die Behälter, die der Beförderung von hochradioaktiven Abfällen (Brennelementen aus Atomkraftwerken oder HAW-Kokillen aus der Wiederaufarbeitungsanlagen) dienen, optimiert und sicher seien. Ausgeblendet wird hingegen, dass Castoren allerdings nicht dafür ausgelegt sind, einem Angriff mit panzerbrechenden Waffen (ATM/ATGM) zu überstehen.

Panzerbrechende Waffen gibt es bei den Armeen der Welt in sehr großer Zahl, sie gehören zur Standartausrüstung seit dem 2. Weltkrieg. Eine unabsehbare Anzahl davon ist vermutlich auf dem Schwarzmarkt erwerbbar. Die Preise sind vermutlich, nachdem am Ende des Kalten Krieges die Armeen in vielen Staaten stark verringert wurden, erschwinglich. Neben dem sind die Waffen so ausgelegt, das sie einfach zu bedienen sind.

Zum Teil sind die Waffen mit thermischen Zielsucheinrichtungen (ATGM) ausgestattet, die auf die Wärmeabstrahlung eines Castors reagieren würden und ein Treffen des Behälters wahrscheinlicher machen. Aber auch ohne Zielsucheinrichtung ist es möglich, einen fahrenden Transportzug mit dem Castor-Behälter zu treffen, ein darauf folgendes Stoppen des Transports ist wahrscheinlich. Dann wären weitere, gezielte Angriffe möglich.

Panzerbrechenden Waffen stellen in erster Linie eine Bedrohung während der Transportabwicklung dar, generell können sie aber auch gegen Lagergebäude eingesetzt werden, dabei wäre vor allem an ein Eindringen der Täter und einem Einsatz vom Gelände des Lagers bzw. im Inneren der Lagerhalle zu denken.

Panzerbrechende, tragbare Waffen werden in mehreren Ländern hergestellt und sind weltweit sehr verbreitet. Derartige Waffen können teilweise auch aus größerer Entfernung, z. B. über Kabel, ausgelöst werden (Panzerrichtminen). Sie können auch mit speziellen Gefechtsköpfen ausgerüstet werden, mit denen Stahlbeton durchschlagen werden kann.

Die Hirsch und Neumann Studie „Sicherheit von Castorbehältern gegen terroristische Anschläge“ kommt zu dem Ergebnis, dass eine große Gefahr von leichten, panzerbrechenden Waffen auf Hohlladungsbasis ausgeht, die von der Schulter oder einem tragbaren Stativ abgefeuert werden und von einer bis zwei Personen transportiert werden können. Derartige Waffen können Panzerstahl von bis zu 1.000 mm Dicke und mehr durchschlagen. Gussstahl, aus dem Castor-Behälter gebaut sind, weist eine geringere Festigkeit auf als Panzerstahl und kann von derartigen Waffen somit durchdrungen werden.

Zu Versuchen mit Panzerfäusten gegen Castoren [LANGE et al., 1994]:

Panzerfaust 3 (Pzf 3)
Gewicht: 12,8 kg, Länge: 1,2m,
Durchmesser Geschosskopf: 110 mm
Durchschlagleistung: über 700 mm
Geschoss-Geschwindigkeit: ca. 250 m/s

Hohe Treffwahrscheinlichkeit: fahrende Ziele bis 300m, stehende Ziele bis 400m

Als Fazit bleibt festzustellen, dass die Behältertypen CASTOR V/19, V/52 und HAW 20/28 CG nicht gegen den Beschuss mit panzerbrechenden Waffen (Hohlladungskörpern) ausgelegt sind. Durch Waffen dieser Art wird in jedem Fall die beschossene Behälterwand durchschlagen und die Brennelemente oder HAW-Kokillen im Inneren stark beschädigt. Dies gilt auch für Behälter aus anderen Werkstoffen und mit anderer Konstruktion. Je nach Durchschlagskraft der verwendeten Waffe, erscheint auch das zusätzliche Durchdringen der von der Beschussrichtung abgewandten Wand als möglich.

Beschuss eines Castors mit panzerbrechenden Waffen während der Transportphase

Als Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen wird angenommen, dass ein Behälter vom Typ CASTOR-HAW 20/28 CG mit 28 Glaskokillen (hochradioaktive Abfälle aus der Wiederaufarbeitung in La Hague) oder ein Behälter vom Typ CASTOR V/19 mit 19 abgebrannten Druckwasserreaktor-Brennelementen mit einer panzerbrechenden Waffe beschossen und beschädigt wird. Die Ergebnisse haben in etwa auch für weitere, vergleichbare Behälter Gültigkeit.

Dabei wird vorausgesetzt, dass der Beschuss seitlich erfolgt, was während der Transportphase plausibel erscheint (die Behälter werden auf Waggons oder Tiefladern in Längsrichtung befördert). Weiterhin wird davon ausgegangen, dass die Waffe durch Täter bedient wird, die im Umgang mit derartigen Waffen ausgebildet und somit in der Lage sind, den Behälter zentral auf der Mantelfläche zu treffen. Panzerbrechende Waffen haben, wie in o. g. Abschnitt dargestellt, im Allgemeinen eine Durchschlagswirkung, die mehr als ausreicht, um ca. 400 mm Gussstahl zu durchdringen. Die Behälterwand wird also durchschlagen, während die Explosion der Hohlladung noch nicht abgeschlossen ist. Bruchstücke der Behälterwand und des Sprengkopfes werden in das Behälterinnere geschleudert (sog. „Spall-Effekt“). Die noch fortdauernde Explosion führt zur Pulverisierung von Glas bzw. Brennstoff-Tabletten. Flüchtige Radionuklide wie z.B. die Cäsium-Isotope verdampfen. Heiße Explosionsgase expandieren schlagartig im Behälter; dadurch entsteht ein Überdruck, der im Falle der Beladung mit abgebranntem Brennstoff noch verstärkt wird durch Freisetzung von Spaltgasen aus den zerstörten Hüllrohren der Brennelemente. Insbesondere bei den wirkungsvolleren panzerbrechenden Waffen mit höherer Durchschlags- bzw. Sprengkraft ist nicht auszuschließen, dass der Sprengkopf zusätzlich die gegenüberliegende Behälterwand durchschlägt.
Das Ausmaß der radioaktiven Freisetzungen wird sehr stark von der eingesetzten Waffe abhängen. Die oben erwähnten Versuche liefern hierfür keine belastbaren Anhaltspunkte, da nicht veröffentlicht wurde, welche Durchschlagskraft die dabei verwendete Waffe hatte – es gibt allerdings Hinweise, dass diese Durchschlagskraft relativ gering war.

Mögliche Folgen eines Angriffs mit einer panzerbrechenden Waffe

Um eine Vorstellung von den möglichen Folgen zu bekommen, wird hier angenommen, dass der hochaktive verglaste Abfall bzw. die abgebrannten Brennelemente im Bereich des Geschosskanals im Behälterinneren pulverisiert werden bzw. verdampfen. Dies entspricht einem zylindrischen Bereich mit etwa 15 cm Durchmesser. Dieses betroffene Volumen enthält etwa 0,5 % des radioaktiven Inventars der Behälter.

Für die weiteren Betrachtungen wird lediglich das Nuklid Cäsium-137 genauer berücksichtigt. Dieses ist besonders flüchtig und radiologisch wegen seiner harten Gamma-Strahlung von Bedeutung. Eine umfassende Ermittlung des Freisetzungs-Quellterms geht weit über diesen Rahmen hinaus.

Ein Behälter vom Typ CASTOR-HAW mit 28 Glaskokillen hat ein Maximalinventar von 180.000 TBq [COGEMA, 1986], ein Behälter CASTOR V/19 von rund 86.000 TBq, also knapp die Hälfte [EON, 2001] (1 TBq (Tera – Becquerel) = 1 Billion Becquerel).

Eine Freisetzung von 0,5 % des Inventars entspricht also rund 900 TBq Cs-137 bei Glaskokillen, etwa 430 TBq Cs-137 bei abgebrannten Brennelementen.

Freisetzungsmindernd könnte sich auswirken, dass sich ein Teil der pulverisierten bzw. verdampften Stoffe innerhalb des Behälters niederschlägt. Andererseits könnte die Freisetzung auch erheblich größer sein, wenn durch die Explosion nicht lediglich ein zylindrischer Bereich in Schussrichtung betroffen ist, sondern in einem größeren Volumenanteil des Behälters erhebliche Schäden an Kokillen bzw. Brennstoff eintreten. Die angegebenen Freisetzungsmengen dürften somit zwar Repräsentative für das betrachtete Szenario sein, stellen aber keineswegs das schlimmsten Szenario dar.

Weiteren Folgen hängen stark von der Form die radioaktiven Schadstofffreisetzung ab: Ein kleinerer Teil wird als feines, lungengängiges Aerosol (Durchmesser bis 10 Mikrometer) in die Atmosphäre gelangen, ein erheblicher Teil dagegen in Form größerer Partikel, die sich in der Umgebung des Tatortes rasch niederschlagen. Die Größenverteilung wird im Einzelnen stark von der konkret eingesetzten Waffe und deren Wirkung abhängen. Als Beispiel wird angenommen, dass sich rund 90 % der freigesetzten Stoffe auf einer Fläche von 2.000 m² niederschlagen (entspricht etwa einem Kreis mit Radius 25m um den Tatort), während sich die restlichen 10 % als radioaktive Wolke großräumig verteilen.

Allein die Kontamination mit Cäsium-137 führt bei Betrachtung eines Glaskokillen-Transportes im unmittelbaren Umkreis des zerstörten Behälters zu Dosisleistungen von knapp 200 mSv/h. Unter Berücksichtigung sämtlicher freigesetzten Stoffe können somit Dosisleistungen im Bereich von mehreren 100 mSv/h auftreten. Dazu kommt für Personen, die sich in diesem Bereich aufhalten, die lnkorporation radioaktiver Stoffe durch Einatmen, die Kontamination mit radioaktiven Stoffen sowie die unabgeschirmte Direktstrahlung aus der Öffnung bzw. den Öffnungen des Behälters. Diese Strahlungsintensität kann an den Dosisgrenzwerten gemessen werden, die in Deutschland für Einsatzkräfte bei Unfällen gelten: Bei Einsätzen zur Abwehr einer Gefahr für Personen oder zur Verhinderung einer wesentlichen Schadensausweitung ist für Angehörige der Feuerwehr maximal eine Dosis von 100 mSv pro Einsatz zulässig, für Polizisten eine Dosis von maximal 100 mSv pro Jahr. Zur Rettung von Menschenleben sind in beiden Fällen 250 mSv zulässig. Dabei gilt aber, dass eine Gesamtdosis von 250 mSv im Laufe eines Lebens nicht überschritten werden sollte [LÄNDER, 1999]. Ab 500 mSv ist mit akuter Strahlenkrankheit zu rechnen, bei strahlenempfindlichen Personen bereits ab 100 mSv. Schon eine Bergung von Personen aus der unmittelbaren Umgebung des Behälters wird daher schwierig und kann dazu führen, dass die beteiligten Einsatzkräfte im Anschluss keiner Strahlenbelastung mehr ausgesetzt werden dürfen.

Eine Abdichtung des Behälters wird unter diesen Umständen praktisch nicht durchzuführen sein. Sie könnte nur unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen wegen der starken Direktstrahlung aus der Öffnung durchgeführt werden und wäre damit mit größerem Zeitaufwand verbunden. Auch eine Dekontamination der näheren Umgebung scheint nicht praktikabel. Als einzige mögliche, kurzfristige Gegenmaßnahme kann der Tatort großräumig abgesperrt werden.

Längerfristig wird es erforderlich sein, Abdichtung und Bergung des Behälters sowie Dekontamination der betroffenen Fläche mittels Einsatz ferngesteuerter Roboter durchzuführen. Es ist damit zu rechnen, dass dies erst nach mehreren Tagen oder Wochen möglich wird, da die technischen Mittel erst herangeschafft bzw. unter Umständen auch noch gemäß den konkreten Anforderungen vor Ort hergestellt werden müssen.

Durch die Ausbreitung eines Teils der freigesetzten Schadstoffe in Form einer radioaktiven Wolke, angenommen wurde hier ein Anteil von 10%, treten auch noch in einigen Kilometern Umkreis erhebliche Strahlenbelastungen auf. Eine Untersuchung der Folgen einer vergleichbaren (wenn auch etwas geringeren) Freisetzung bei einem Transportunfall mit abgebranntem Brennstoff ergab, dass bei ungünstiger Wetterlage noch in einer Entfernung von mehr als 5 km eine Umsiedlung der betroffenen Bevölkerung erforderlich wäre [DEPPE et al., 1991].

Bisher wurde lediglich jene Freisetzung betrachtet, zu der es unmittelbar nach dem Beschuss durch die Waffeneinwirkung kommt. Es sind jedoch im Falle von Brennelementen noch weitere Folgen denkbar: Es ist anzunehmen, dass es nach der anfänglichen Expansion der hochheißen Explosionsgase zu einer Abkühlung im Behälterinneren kommt. Damit sinkt der Druck stark ab und Luft wird eingesaugt. Falls der Behälter über Ein- und Austrittsöffnung verfügt, ist das Eindringen größerer Luftmengen als wahrscheinlich anzusehen. Die Hüllrohre der Brennelemente bestehen aus Zircalloy, einer Zirkon-Legierung. Bei der durch den Einschuss verursachten Explosion wird dieses Hüllrohrmaterial zum Teil pulverisiert; feine Teilchen und Späne entstehen. In dieser Form ist Zircalloy leicht entzündlich – es kann also bei Sauerstoffzuführung zu einem Metallfeuer in dem beschädigten Behälter kommen, das weitere Aufheizen und Freisetzungen des radioaktiven Inventars ist die Folge. Diese Gefahr ist als durchaus reales Szenario anzusehen, da kurzfristige Gegenmaßnahmen wie Abdichtung des Behälters kaum durchführbar erscheinen.
Aus: Verwundbarkeit von CASTOR – Behältern bei Transport und Lagerung gegenüber terroristischen und kriegerischen Einwirkungen sowie zivilisatorischen Katastrophen; Verfasser Dr. Helmut Hirsch, Wolfgang Neumann ;unter Mitarbeit von Oda Becker, Hannover, im November 2001 im Auftrage des „BUND“

Es ist denkbar, das eine einzelne Person, ohne finanzielle Unterstützung, militärische Ausbildung oder terroristische Unterstützer (-organisation) einen dergleichen Angriff auf einen Castor-Behälter versucht und durchführt. Eine Absicherung des Bahndammes gegen derartige Anschläge erscheint undurchführbar, da die Waffen aus mindestens einigen hundert Meter Entfernung eingesetzt werden können.

  • Letztendlich kann also eine entschlossener Einzeltäter, der über keine besondere Qualifizierung verfügt, eine massive radioaktive Verseuchung inmitten dicht besiedelter Millionen-Städte, durch die Castor-Transporte geführt werden, verursachen.

Bilder: Bundesamt für Strahlenschutz, Map24.de, www.waffenhq.de